Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Feldzug in Frankreich. 769 
nannte er sich nur einen vom Glücke begünstigten Soldaten; aber ein— 
mal doch mußte der Unmuth heraus. In höchster Leidenschaft schrieb er 
dem Staatskanzler an einem Tage drei Briefe voll heftiger Anklagen, 
beschuldigte in seinem Zorne selbst Stein und Blücher des Undanks.“) 
Die Gerechtigkeit des Königs gab ihm bald Genugthuung; er trug nach- 
her den Ordensstern, der im Wagen Napoleon's gefunden worden. Doch 
über den historischen Ruhm, der ihm gebührte, ist die Mehrzahl der Zeit- 
genossen nie in's Klare gekommen; erst ein späteres Geschlecht seiner 
Landsleute ward seiner Größe gerecht, und die Franzosen wissen bis zum 
heutigen Tage noch nicht, wer der erste Feldherr des verbündeten Euro- 
pas war. 
Der Unmuth zog nur wie ein flüchtiges Gewölk über Gneisenau's 
freie Stirne hin. Noch an dem nämlichen 30. Juni war der Held wie- 
der ganz bei der Sache, legte den beiden Heerführern seinen Plan für die 
Einnahme der Hauptstadt vor. Während Bülow die leidlich befestigte 
Nordseite von Paris durch Scheinangriffe beschäftigte, marschirte Blücher 
mit der übrigen Armee rechtsab, überschritt die Seine unterhalb der Stadt 
und schickte sich an, den Platz vom Süden her anzugreifen; am 2. Juli 
wurde Bülow von den nachrückenden Engländern abgelöst und folgte dem 
Feldmarschall. Die letzten Kämpfe an der offenen Südseite fielen wieder 
allein den Preußen zur Last. Umsonst versuchte Davoust in einem be- 
weglichen Briefe Waffenruhe zu erbitten. Die Behauptung des Marschalls, 
nach dem Sturze Napoleon's bestehe kein Grund mehr zum Kriege, klang 
dem deutschen Feldherrn wie Hohn; in einer geharnischten Antwort 
forderte er den verhaßten Peiniger der deutschen Bürger zur Capitulation 
auf: „wollen Sie die Verwünschungen von Paris ebenso wie die von 
Hamburg auf sich laden?" Ein unglückliches Gefecht seiner Lieblings- 
waffe erschütterte den Alten tief. Die alterprobten brandenburgischen 
und pommerschen Husaren, 650 Pferde unter der Führung des kühnen 
Sohr, geriethen bei Versailles plötzlich in einen Hinterhalt, unter die 
elf Reiterregimenter des Generals Excelmans; als sie zurücksprengten, 
verirrten sie sich in dem Dorfe Chesnoy zwischen die hohen Mauern 
einer Sackgasse. Ein Drittel schlug sich durch, die Anderen wurden 
größtentheils niedergehauen. Unter ihnen auch der blutjunge Freiwillige 
Heinrich von York, der Lieblingssohn des Generals; der rief, als die Feinde 
ihm Pardon anboten: „ich heiße YVorkl“ und hieb um sich bis er zusammen- 
brach. So mußte der eiserne Mann, der einst den deutschen Krieg begonnen, 
dicht vor dem letzten Siege noch einmal mit seinem Herzblute zahlen. 
Am 2. Juli drang das Corps Zieten's nach einem heftigen Ge- 
fechte bis auf die Hochebene von Menudon vor. Als der wilde Van- 
damme in der folgenden Nacht versuchte, von Issy aus diese Position 
  
*) Gneisenau an Hardenberg, drei Briefe aus Gonesse 30. Juni 1815. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 49
	        
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