Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Ankunft der Monarchen. 773 
Rationalismus seines Lehrers Laharpe sie bieten konnte. In Paris empfing 
den Czaren sofort ein Kreis christlich begeisterter Damen, huldigte dem 
neuen Weltheiland, der das Reich des Gottesfriedens begründen und, 
natürlich, nach dem Vorbilde des Erlösers Alles vergeben und vergessen 
sollte. Ebenso natürlich, daß diese großmüthigen Absichten wieder genau 
zusammenfielen mit dem vermeintlichen Interesse der russischen Politik. 
Obgleich Alexander nach seiner Weise wirklich ein treuer Bundesgenosse 
seines westlichen Nachbarn war, so wünschte er doch keineswegs daß Preußen 
stark genug würde um der russischen Freundschaft entrathen zu können; 
darum sollte Deutschland an seiner Westgrenze verwundbar bleiben. Noch 
lebhafter als im vorigen Jahre trat der Czar heuer für die Franzosen 
ein, blieb für Stein's Mahnungen ganz unzugänglich. Metternich fand sich 
ebenfalls schnell in die neue durch Wellington's Rücksichtslosigkeit geschaffene 
Lage; er ließ den Gedanken an die Einsetzung Napoleon's II., womit Gentz 
eine Zeit lang gespielt hatte, sofort fallen, und kam den Bourbonen freund- 
lich entgegen. Da er nach wie vor der Meinung blieb, daß Oesterreich 
die gefährliche Position am Oberrheine keinesfalls wieder übernehmen 
dürfe, so wünschte er einen schleunigen, milden Friedensschluß. Was 
fragte der Wiener Hof nach den gerechten Ansprüchen der deutschen Nation? 
Diese Hoffnungen der Deutschen fanden nirgends wärmeren Aus- 
druck als in den Briefen der preußischen Generale. Schon vier Tage 
nach der Entscheidungsschlacht schrieb Gneisenau an den Staatskanzler: 
„wehe denen und Schande ihnen, wenn diese einzige Gelegenheit nicht 
ergriffen würde um Belgien, Preußen und Deutschland zu sichern für ewige 
Zeiten!“ Er forderte für Belgien einige feste Plätze im französischen Flan- 
dern, für Preußen Mainz und Luxemburg, desgleichen Nassau und Ans- 
bach-Bayreuth; Baiern sollte dafür in Elsaß-Lothringen entschädigt werden, 
das Haus Nassau im wälschen Luxemburg. „Welche Sprache jetzt Preußen 
führen kann und muß, wissen Sie besser als ich. So hoch hat noch nie 
Preußen gestanden!“ In ähnlichem Sinne bat Blücher den König, „die 
Diplomatiker anzuweisen, daß sie nicht wieder verlieren was der Soldat 
mit seinem Blute errungen hat.“ Der Alte lebte, wie fast die gesammte 
deutsche Nation, des naiven Glaubens, daß die fremden Mächte den 
Preußen den so redlich verdienten Siegespreis gar nicht versagen könnten, 
wenn nur unsere Diplomaten fest blieben. Der König war mit den Wün- 
schen seiner Generale persönlich durchaus einverstanden und beauftragte 
Gneisenau, neben Hardenberg und Humboldt als Bevollmächtigter an 
dem Friedenscongresse theilzunehmen; dem feurigen Helden that es recht 
in der Seele wohl, daß derselbe Talleyrand, der in Wien den Vernich- 
tungskrieg gegen Preußen geschürt hatte, ihm jetzt als demüthiger Unter- 
händler für die Besiegten gegenübertreten mußte. Aber Friedrich Wilhelm's 
Nüchternheit erkannte auch, wie wenig in diesem harten Machtkampfe auf 
Vernunftgründe und auf die offenbare Gerechtigkeit der preußischen Forde-
	        
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