790 II. 2. Belle Alliance.
lebendige Gemeinschaft bildet, diese alte halb vergessene Wahrheit, die sich
nach den Gräueln des napoleonischen Zeitalters der Welt wieder über—
mächtig aufdrängte, empfing unter den Händen des Gottbegeisterten eine
sonderbare theokratische Umbildung. Die drei Monarchen von Oesterreich,
Preußen und Rußland, so schrieb der Czar, betrachten sich als verbunden
durch die Bande einer wahrhaften und unauflöslichen Brüderlichkeit, als
Familienväter ihren Unterthanen gegenüber; sie sehen sich an als von
der Vorsehung beauftragt drei Zweige einer Familie zu regieren, und
erkennen als den einzigen Souverän der einen christlichen Nation allein
„Gott, unsern göttlichen Erlöser Jesus Christus, das Wort des Höchsten,
das Wort des Lebens.“ Alle Staaten, welche sich zu diesen Heilswahr—
heiten bekennen, sind zum Eintritt in den heiligen Bund brüderlich ein—
geladen.)
Jene räthselhafte Schicksalsgunst, welche es immer so fügte, daß die
Gefühlswallungen Alexander's mit seinem Vortheile zusammentrafen,
waltete auch über diesem Ergusse seiner heiligsten Empfindungen. Alle
Mächte Europas konnten seiner brüderlichen Einladung folgen, nur jene
beiden nicht, welche der russischen Politik von Altersher als unversöhn-
liche Feinde galten. Der Papst mußte fern bleiben, weil der Stellver-
treter Christi nur die civitas Dei unter der Herrschaft des gekrönten
Priesters anerkennen durfte. Vollends der ungläubige Sultan war, wie
der Czar unverhohlen aussprach, für immer aus dem großen Bruderbunde
Europas ausgeschlossen. Dem verständigen Sinne Friedrich Wilhelm's
erschienen die orakelhaften Sätze, die ihm der Czar mit feierlichem Ernst
vorlegte, sehr befremdlich; aber warum dem alten Freunde eine Gefällig-
keit versagen, welche dem preußischen Staate durchaus keine Verpflichtung
auferlegte Bereitwillig schrieb der König, wie sein Freund wünschte, das
Actenstück mit eigenen Händen ab (26. September). Schwerer entschloß
sich Kaiser Franz; er sah voraus, wie peinlich dieser heilige Bund den
treuen Freund in Konstantinopel berühren würde. Doch da Metternich
die fromme Urkunde lächelnd für leeres Geschwätz erklärte, so trat auch
Oesterreich noch an demselben Tage bei. Nach und nach haben sich dann
sämmtliche Staaten Europas dem heiligen Bunde angeschlossen, die meisten
aus Gefälligkeit für den Czaren, einige auch weil die frommen Worte
vom väterlichen Fürstenregiment den hochconservativen Neigungen des an-
brechenden Restaurationszeitalters entsprachen.
Nur drei hielten sich zurück: jene beiden alten Feinde Rußlands
*) Eine Andeutung in einer Parlamentsrede Lord Liverpool's hat Anlaß gegeben
zu der häufig wiederholten Behauptung, daß die Acte der heiligen Allianz einige geheime
Artikel enthalten hätte. Obgleich die Unhaltbarkeit dieser Annahme sich schon aus inneren
Gründen ergiebt, so sei hier doch zum Ueberfluß noch versichert, daß die im Berliner
Geh. Staatsarchiv verwahrte Original-Urkunde nichts weiter als den allbekannten Text
enthält.