142 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
entwarf nun ein bezauberndes Bild von der großen Zukunft des Deutschen
Bundes, das freilich in der verstimmten Nation nur noch wenige Gläu—
bige fand. Soeben erst war ein Menschenalter voll Blut und Greueln
über die Welt dahingegangen, weil Deutschland in seiner Zersplitterung
sich nicht verteidigen konnte. Und angesichts solcher Erfahrungen erklärte
Heeren wieder, fast mit den nämlichen Worten wie einst Johannes Müller
zur Zeit des Fürstenbundes: die Freiheit Europas beruht auf der lockeren
Ordnung Deutschlands, denn welche fremde Macht könnte sich ihres Be—
sitzes ruhig freuen, wenn Deutschland zu einer großen Monarchie ver—
einigt wäre? Auch die Buntheit unserer inneren Zustände fand er sehr
heilsam; wenn der Deutsche auch „Proben“ einer anderen Staatsordnung
stets vor Augen habe, so bleibe er vor einseitiger Beschränktheit bewahrt.
Diese reichhaltige, für die Professoren des Staatsrechts allerdings unschätz-
bare, politische Naturaliensammlung mußte aber — dies schien dem Göt-
tinger gar keines Beweises zu bedürfen — von allen großen Mächten als
die gebietende Zentralmacht des Weltteils, als „der Friedensstaat von
Europa“ anerkannt werden; noch eine kurze Frist, und Frankfurt ward,
wie einst der Haag, „der Mittelpunkt des Staatensystems“", der Bundes-
tag erweiterte sich zu einem europäischen Senatel
In der Tat hatte sich schon jetzt an den großen Höfen eine be-
stimmte Meinung über die Frankfurter Versammlung ausgebildet; nur
lautete sie minder schmeichelhaft als Heeren wähnte. Der Bundestag galt
bereits, wie seitdem immer bis zu seiner Auflösung, als die große Börse für
den subalternen diplomatischen Klatsch Europas. Seit vielen Monaten trieb
sich dieser Schwarm von kleinen Diplomaten beschäftigungslos in Frankfurt
umher. Was blieb den Armen zu tun als kleine Kabalen zu schmieden,
Geschichten herumzutragen und die Bevollmächtigten des Vierbundes, die
in der großen Territorialkommission beschäftigt waren, Wessenberg, Hum-
boldt, Clancarty und Anstett, wetteifernd auszuhorchen? Wer in diesem ge-
schäftigen Müßiggange obenauf bleiben wollte, mußte sich durch pikante
Neuigkeiten oder durch ausgesuchte Tafelgenüsse unentbehrlich machen; wie
oft hat der Bremer Senat dem getreuen Smidt eine Spende aus seinem
weltberühmten Ratskeller gesendet, damit Graf Buol die Schildkröten,
die Neunaugen und die anderen Herrlichkeiten des hanseatischen Tisches
um so schmackhafter fände. Von den Geheimnissen der großen Höfe er-
fuhren die Kleinen freilich so wenig, daß ihnen selbst der wirkliche Sach-
verhalt der unglücklichen Unternehmung Hänleins immer verborgen blieb.
Um so üppiger blühte die Mythenbildung, und sie richtete unaus-
bleiblich ihre Spitze gegen den Staat, der mit seinem Volksheere und seinem
leuchtenden kriegerischen Ruhme Allen als der geborene Todfeind der neu
hergestellten Regensburger Herrlichkeit erschien. Zudem verstand Humboldt
unter allen den Gesandten der vier Mächte am wenigsten, die Eitelkeit
der kleinen Diplomaten zu schonen; nur zu oft ließ er sie seine Über-