Verhandlungen über den Eintritt des preußischen Gesamtstaates. 155
Vaterlande angehörte, ebenso sicher ließ sich doch voraussehen, daß weder
sterreich noch die Mittelstaaten diese Ostmark jemals freiwillig in den
Deutschen Bund aufnehmen würden, da sie ja samt und sonders die Be—
schränkung der preußischen Macht als den Hauptzweck der Bundespolitik
betrachteten.
Der Staatskanzler beschwor daher seinen königlichen Herrn, nicht
durch einen solchen Antrag allgemeines, peinliches Aufsehen zu erregen
und „aus der Reihe der europäischen Mächte gleichsam herauszutreten“;
er verschmähte sogar nicht die perfide Frage: „würde man dadurch nicht
der Idee von Deutschheit noch mehr Nahrung geben, die in den Schwin—
delköpfen der Zeit liegt?““) Humboldt schloß sich dem Staatskanzler an
und erinnerte nachdrücklich an die schwer errungene Stellung Preußens
innerhalb der europäischen Pentarchie. Auch Goltz berichtete aus Frank-
furt: alle Kleinstaaten wünschten, daß der Bund nur eine passive Rolle
in der europäischen Politik spiele, und würden mithin nimmermehr den
Eintritt des preußischen Gesamtstaates genehmigen. Nochmals stellte
Hardenberg dem Könige vor, welches Mißtrauen der Plan in Petersburg
und an den kleinen Höfen erwecken müsse.) Die Möglichkeit aber, daß
Preußen dereinst durch eine österreichisch gesinnte Bundestagsmehrheit wider
Willen in einen italienischen Krieg der Habsburger hineingerissen werden
könnte, fand noch in keiner dieser Denkschriften Erwähnung; ein solcher
Fall lag noch weit außerhalb des Gesichtskreises der Zeit. Wurde Oster-
reich in der Lombardei angegriffen, so war Preußen nach der einstimmigen
Ansicht der Berliner Staatsmänner, unzweifelhaft verpflichtet, den Bundes—
genossen zu unterstützen; denn wer anders als Frankreich konnte den An—
griff unternehmen? an eine Schilderhebung der Piemontesen wagte noch
niemand zu denken.
Der König blieb unerschütterlich: „Ich kann“, erwiderte er dem Staats-
kanzler (1. Dezbr. 1817), „in dieser so überaus wichtigen Sache durchaus
keine anderen Beschlüsse fassen, indem ich zu sehr von der Gefahr durch-
drungen bin, in die der Staat kommen kann.““““) Hardenberg mußte also
schweren Herzens den Plan des Monarchen, nebst einer ausführlichen Denk-
schrift Ancillons, durch Geh. Rat Jordan der Hofburg mitteilen lassen.
Metternich aber war über seine Antwort nicht im Zweifel. Nichts lag ihm
ferner als der Gedanke, den preußischen Antrag etwa durch das Anerbieten
des Eintritts von Gesamt-Osterreich zu überbieten; so verwegene Ent-
schlüsse galten damals noch allgemein als unausführbar, sie widersprachen
den Grundanschauungen der Stabilitätspolitik und erschienen dem Wiener
Hofe um so törichter, da man ja den Plan der Bildung eines italieni-
*) Hardenberg an den König, 23. Februar 1817.
*7*') Humboldts Votum, 12. Juli, Hardenbergs Denkschrift, 1. Dezbr., Goltzs
Denkschrift 30. Dezbr. 1817.
*“' '#) König Friedrich Wilhelm an Hardenberg, 1. Dezbr. 1817.