170 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
guten Beispiele nicht folgten und namentlich in Reutlingen, unter dem
Schutze der württembergischen Krone, eine schamlose literarische Freibeuterei
blühte. Nur einmal ließ sich der Staatskanzler, sehr ungern, zu einer
Ungerechtigkeit bestimmen, die dem Rufe Preußens eine schwere Wunde
schlug. Der Rheinische Merkur war seit dem Kriege rasch von seiner
Höhe herabgesunken; für die nüchternen Arbeiten der Friedenszeit reichte
das feurige patriotische Pathos nicht mehr aus. Da Görres über die
Geschäftsfragen der Verfassung und Verwaltung nichts zu sagen wußte,
so verfiel er bald in ein zielloses, terroristisches Poltern. Von allen Höfen,
den deutschen wie den fremden, kamen Klagen wider den unverbesserlichen
gazettier de Coblence. Wenn er höhnend schrieb, die Furcht der Re—
gierungen vor der Preßfreiheit sei nichts anderes als der Haß der öffent-
lichen Dirnen gegen die Straßenbeleuchtung; wenn er nach dem Erscheinen
der Schmalzischen Schrift mit ungeheuerlicher Übertreibung, in ekelhaften
Bildern ausführte: jetzt hätten sich die sieben Gestänke des preußischen
Staates zu dem einen Schmalz-Gestank vereinigt, und die allgemeine Re-
aktion breche herein — so war dieser Ton dem reizbaren Gehör der Zeit
zu stark. Nach wiederholten vertraulichen Warnungen entschloß sich Harden-
berg im Januar 1816 den Rheinischen Merkur zu unterdrücken, wenige
Tage nachdem Görres den Neujahrstag mit der zuversichtlichen Weissagung
begrüßt hatte: der Merkur werde das herrschende Gestirn dieses Jahres
sein. Das Verbot erregte allenthalben peinliches Aufsehen. Welch ein Dank
für das Blatt, das in großer Zeit die deutsche Sache so mutig vertreten
hatte; und welche Torheit, den unberechenbaren, leidenschaftlichen Publi-
zisten, der noch treu zu der preußischen Fahne hielt aber nach seiner phan-
tastischen Art jederzeit umschlagen konnte, also zu kränken! Im Ubrigen
blieb die preußische Presse ziemlich unbelästigt.
Erst im Frühjahr 1817 erinnerte sich der Bundestag der Verheißung
des Art. 18 und beauftragte zunächst den oldenburgischen Gesandten von Berg
mit einer statistischen Zusammenstellung der deutschen Preßgesetze. Der
schwergelehrte Herr ging mit der ganzen Umständlichkeit eines alten Göt-
tinger Professors an seine mühsame Arbeit. Hardenberg aber sah ein, daß
man auf diesem Wege nie zum Ziele gelangen konnte, und da die Klagen
wider die zügellose Presse, namentlich wider den burschikosen Ton der Jenenser
Zeitungen sich täglich mehrten, so beschloß er im Sommer 1817, durch ge-
meinsame Vorschläge der beiden Großmächte ein Bundes-Preßgesetz zu-
stande zu bringen. Er ließ also durch Geh. Rat von Raumer eine Denk-
schrift über die Preffreiheit ausarbeiten und befahl seinem Vertrauten
Jordan, als dieser im Winter nach Wien ging, sich darüber mit Metternich
zu verständigen. Die Denkschrift verriet bereits einige Angstlichkeit, doch
überschritt sie auch noch nicht das Maß des Zwanges, das den meisten
Regierungen jener Zeit unentbehrlich schien: sie forderte gänzliche Freiheit
für alle größeren wissenschaftlichen Werke, strenge Zensur für die Zei-