Der Staatsrat. 197
daß sie laut klagten und den ganzen Schmerz der Teilung ihres Heimat—
landes noch einmal zu erleben glaubten. Die Bitten und Beschwerden
währten noch lange fort. Der dicht bei Potsdam gelegene sächsische Amts—
bezirk Belzig verlangte stürmisch, beim Wittenberger Kreise zu bleiben;
sämtliche Grundbesitzer des Eichsfeldes forderten als ein verbrieftes Recht,
daß ein eichsfeldisches Oberlandesgericht in Heiligenstadt gegründet werde.
Noch drei Jahre später sprach einer der ersten Grundbesitzer des Landes,
Graf Schulenburg, gegen den Minister Klewitz die Erwartung aus, daß
die altsächsischen Gebiete sämtlich zu einer Provinz vereinigt würden,
sonst werde „diese Wunde ewig bluten“; und bis zum heutigen Tage fühlt
sich die Stadt Görlitz als eine oberlausitzische, nicht als eine schlesische
Stadt. In der Tat war die Provinz Sachsen der einzige völlig künst—
liche unter den neuen großen Verwaltungsbezirken. Während bei der
Bildung aller anderen Provinzen umsichtige Schonung der Interessen und
Erinnerungen waltete und jede von ihnen einen ausgeprägten Stammes—
charakter zeigte, wurde hier, dank der unglücklichen Halbheit der Wiener
Kongreßbeschlüsse, manches althistorische Band gewaltsam zerrissen, thürin—
gische, ober- und niedersächsische Stammesart willkürlich zusammengezwängt.
Und doch ward auch hier durch die ausdauernde Geduld, die Pflichttreue
und Gerechtigkeit des Beamtentums die Wildnis allmählich gerodet, die
feindselige Bevölkerung zu einem gesunden Gemeingeist erzogen. Es war die
Idee der praktischen deutschen Einheit, die in einem täglich und stündlich er—
neuerten Kampfe sich durchsetzte gegen die Trümmer des Partikularismus. —
Sobald die Verwaltung der Provinzen sich etwas befestigt hatte nahm
Hardenberg die so lange unterbrochene Arbeit der Gesetzgebung wieder auf.
Durch die Verordnung vom 20. März 1817 wurde die seit dem Jahre 1808
wiederholt verheißene höchste beratende Behörde der Monarchie, der Staats-
rat, endlich eingerichtet, allerdings mit geringeren Befugnissen, als Stein
ihr einst zugedacht hatte. Der Beratung des Staatsrats unterlagen
alle Gesetzentwürfe, sowie die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze, desgleichen
die Streitigkeiten über den Wirkungskreis der Ministerien, die Entsetzung
der Beamten, und alle die Beschwerden der Untertanen, welche der König
ihm zuwies, so daß die leicht zu mißbrauchende Macht der neuen Fach-
minister jetzt eine wirksame Schranke fand. Den Vorsitz übernahm der
König selbst oder der Staatskanzler, die formelle Leitung der Geschäfte der
neue Minister-Staatssekretär von Klewitz. Mitglieder waren: die königlichen
Prinzen, die Minister und die Chefs der anderen selbständigen Zentral-
behörden, die Feldmarschälle, die kommandierenden Generale und die Ober-
präsidenten, endlich vierunddreißig durch das Vertrauen des Königs be-
rufene Männer aus allen Zweigen des öffentlichen Dienstes — die besten
Kräfte des Beamtentums, sehr wenige darunter, die nicht irgendwie über
die Mittelmäßigkeit hinausragten. Von den namhaften Staatsmännern
hatte man nur zwei übergangen, deren Schroffheit dem Staatskanzler