Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden. 201
Feine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationalistische Zug seines
Geistes entsprach der Gesinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft
seit langem vorherrschte, und alle wußten, wie glühend er seine Heimat
liebte, wie einsichtig und unerschrocken er sich aller ihrer Interessen vor
dem Throne annahm. Das Beispiel seiner absprechenden Tadelsucht wirkte
verderblich auf das ohnehin zu scharfem Urteil geneigte Volk; durch Schöns
langjährige Verwaltung wurde die übermacht der egtremen Partei in
unserer Ostmark zuerst begründet. In Berlin spottete man insgeheim über
seinen unermeßlichen Dünkel und erzählte sich lächelnd, wie er einmal,
unmittelbar vor der Heimreise, eine Einladung Hardenbergs mit den
Worten ausgeschlagen hatte: „meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde
länger entbehren;“ doch mochte niemand gern dem streitbaren Manne
mit den strengen, strafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewitz,
Vincke schätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe
Wort hin, da er seine Ergebenheit kannte.
Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsrats die Uneinigkeit
der Minister kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für
ebenso verzweifelt wie sie vor der Schlacht von Jena gewesen, und riet
dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Ministeriums, das
nur aus Gesinnungsgenossen bestände und, gleich dem englischen Kabinett,
durch „die Achtung des Volks“ getragen würde: dies England blieb ihm nun
einmal der liberale Musterstaat, obgleich dem Hochtory-Kabinett jener Tage
wahrlich nichts gleichgültiger war als die Achtung des Volks. Um seinen
Vorschlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön sodann den versammelten
Oberpräsidenten den Entwurf einer gemeinsamen Beschwerdeschrift, die den
Monarchen über „den verkümmerten Zustand der Verwaltung“ aufklären
sollte. Dies sonderbare, an drastischen Wendungen überreiche Schriftstück
schilderte mit grellen Farben, wahres und falsches willkürlich vermischend:
wie der so bunt zusammengesetzte Staat allein durch den Geist zusammen-
gehalten werden könne, und dieser Geist jetzt unterdrückt werde; die Polizei
bekunde sich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine Last des
Landes aus, die Justiz sei nur noch eine leidende Maschine in der Hand
des Ministers, für Kirche und Schule geschehe gar nichts. Daran schlossen
sich scharfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachlässige Amtsführung
des Finanzministers und wohlberechtigte Beschwerden über „das unge-
bundene Ziehen aller Geschäfte der Provinzialverwaltung, in französischer
Art, nach der Mitte"“". So mächtig war die grämliche Verstimmung der
Zeit, daß sieben von den zehn Oberpräsidenten sich entschlossen, dies lange
Register unbestimmter und zum Teil grundloser Klagen zu unterzeichnen
(30. Juni). Nur Zerboni, ein persönlicher Freund Hardenbergs, und der
hochkonservative Heydebreck verweigerten die Unterschrift; der Oberpräsident
von Sachsen war als Bruder des Finanzministers von vornherein aus
dem Spiel geblieben.