202 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Der Staatskanzler nahm die Opposition der höchsten Provinzialbe—
amten zuerst sehr unwillig auf und nannte im vertrauten Kreise ihr Unter—
fangen geradezu eine Verschwörung. Doch überwand er sich bald, erkannte
einige der Beschwerden als berechtigt an und forderte für andere genaueren
Beweis, worauf die Klagenden selber mehrere ihrer Vorwürfe zurücknehmen
mußten. Auch der König begnügte sich mit einem milden Tadel gegen die
Übertreibungen der Denkschrift, dankte den Unterzeichnern für diesen neuen
Beweis ihres Diensteifers und kündigte ihnen an, daß er den Klagen über
die allzu straffe Zentralisation soeben abgeholfen habe.) In der Tat
erließ der Monarch, um den Wirkungskreis der Provinzialbehörden endlich
klar abzugrenzen, am 23. Oktober 1817 die Instruktionen für die Ober-
präsidenten und die Regierungen, zwei seit langem vorbereitete treffliche
Gesetze, welche den Neubau der oberen Verwaltung zum Abschluß brachten
und die Grundsätze des Verwaltungsrechts auf ein halbes Jahrhundert
hinaus feststellten. Geheilt von seiner Vorliebe für die napoleonische Ver-
waltung kehrte Hardenberg jetzt zu den Gedanken Steins zurück. Das
neue Verwaltungsrecht schloß sich eng, oft wörtlich an die Gesetzgebung
des Jahres 1808 an. Die Oberpräsidenten sollten mindestens einmal jähr-
lich die ganze Provinz bereisen, überall aus eigener Anschauung den Mängeln
und Beschwerden abhelfen; sie erhielten ein so weites Gebiet selbständiger
Tätigkeit angewiesen, daß Vincke in Westfalen, Merckel in Schlesien,
Sack in Pommern bald fast wie Landesväter verehrt wurden und in dem
gesamten öffentlichen Leben ihrer Provinzen die dauernden Spuren ihres
Wirkens hinterlassen konnten. Als Hardenberg aber im Juni 1818 die hohen
Verwaltungsbeamten der Provinzen zu freimütigen Gutachten über die
Wirkung der neuen Instruktionen aufforderte, da gingen die Erwiderungen
noch nach allen Richtungen der Windrose auseinander. Schön schalt nach
seiner Weise über die bureaukratische Mißgeburt; er und Vincke sahen nur
noch Rettung in der Wiederherstellung der Provinzialminister. Motz da-
gegen empfahl den Ubergang zu einem gemäßigten Präfektursystem; die
kollegialische Verwaltung passe nur für rein monarchische Staaten, Preußen
aber stehe im Begriff sich in einen konstitutionellen Staat zu verwandeln.)
Die Aufgabe, den künstlichen Staat durch eine Verwaltung, die doch nicht
unfrei sein durfte, zusammenzuhalten, erschien dieser Generation bis zur
Unlösbarkeit schwierig. Lange Jahre sollten noch vergehen, bis das Be-
amtentum selber anerkannte, daß der greise Staatskanzler noch einmal
seinen sicheren politischen Blick bewährt und die feine Mittellinie zwischen
dem bureaukratischen und dem Kollegial-System glücklich getroffen hatte. —
Unterdessen ward in dem Ausschuß und im Plenum des Staatsrats
*) Denkschrift der Oberpräsidenten vom 30. Juni 1817, mit Randbemerkungen des
Staatskanzlers. Rechtfertigungsschreiben von Ingersleben, 14. Sept., von Auerswald,
15. Oktbr. 1818 usw. Kabinettsordre an die Oberpräsidenten, 3. Nov. 1817.
*“) Motz, Denkschrift über die Regierungen (an den Staatskanzler), Nov. 1818.