Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Das Defizit. 203 
ein Kampf durchgefochten, ernster, folgenreicher als manche vielbewunderte 
Parlamentsverhandlung jener Tage. Auch die Leidenschaft und der redne— 
rische Reiz parlamentarischer Debatten fehlten ihm nicht; wie erstaunte 
Gneisenau, als er die kunstvolle und doch streng sachliche Beredsamkeit 
Humboldts, Maassens, Eichhorns, Ferbers kennen lernte und das allge— 
meine Vorurteil der Zeit, das den schüchternen Deutschen die Gabe der 
freien Rede absprach, so schlagend widerlegt sah. Gleich nach dem Frieden 
hatte der König den Finanzminister aufgefordert, einen umfassenden Steuer— 
reformplan vorzulegen; die neuen Untertanen, so schrieb er, sollen es 
fühlen, daß sie mir angehören. Sobald man der Aufgabe näher trat, 
zeigte sich schnell, daß nur eine billigere Verteilung, nicht eine Erleichterung 
der Steuerlast möglich war. Der außerordentliche Aufwand des Staates 
für Kriegszwecke betrug, wie sich später herausstellte, 206 Mill. Tlr. 
für die Jahre 1806—1815, in den nächsten vier Jahren kamen noch weitere 
81 Mill. hinzu. Die Staatsschuld war schon im Jahre 1812 auf 132 Mill. 
gestiegen und seitdem durch den Befreiungskrieg und die 45 Mill. fremder 
Schulden, die man mit den neuen Provinzen übernehmen mußte, bis auf 
217 Mill. (1818) angewachsen. Der Kredit lag so tief darnieder, daß 
Hardenberg sich im Jahre 1817 glücklich schätzen mußte, eine fünfprozentige 
Anleihe in England zum Kurse von kaum 72 abzuschließen; zur selben 
Zeit standen die vierprozentigen Staatsschuldscheine an der Berliner Börse 
auf 71—73, ein Jahr darauf noch niedriger, bis auf 65. Und welch ein 
Wagnis, diesem erschöpften Volke, das nach deutscher Art fiskalischen Druck 
stets ungeduldiger trug als polizeilichen Zwang, jetzt inmitten der allge- 
meinen Verarmung neue Lasten aufzulegen. Der Kaufwert der großen 
Landgüter stand in den alten Provinzen kaum mehr halb so hoch als vor 
dem Jahre 1806, in einzelnen Landesteilen war er auf ein Viertel herab- 
gesunken. Als der König im Juni 1816 den für die Kriegsjahre gewährten 
Indult endlich aufhob, mußte er gleichwohl den verschuldeten Grundbesitzern 
in den östlichen Provinzen noch bis zum Jahre 1819, in Altpreußen sogar 
bis 1822, einige außerordentliche Zahlungserleichterungen bewilligen. 
Das Argste blieb doch, daß niemand die Lage des Staatshaushaltes 
übersah. Die Massen der Rückstände, der Kriegsleistungen, der mannig- 
fachen mit den neuen Provinzen übernommenen Verpflichtungen entzogen 
sich noch jeder Berechnung; noch drei Jahre später lagen allein bei der 
Regierung des kleinen Bezirks Erfurt 2141 unbezahlte Rechnungen aus 
der Kriegszeit.) Graf Bülow erklärte sich daher außer Stande, dem 
Staatsrate eine in's einzelne gehende Veranschlagung zu übergeben und 
schätzte ohne nähere Berechnung, das Defizit für das Jahr 1817 auf 
1, Mill. Tlr. Die an das peinlich genaue altpreußische Rechnungswesen 
gewöhnten Kommissionsmitglieder wollten der unwillkommenen Mitteilung 
  
*) Motz, Denkschrift über die Vereinfachung der Verwaltung. Erfurt, 29. Juni 1820.
	        
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