Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

204 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
keinen Glauben schenken; sie suchten den Grund des Defizits allein in 
Bülows Nachlässigkeit und stellten eine Gegenrechnung auf, welche einen 
lberschuß von reichlich 4 Mill. an ordentlichen und 2 Mill. an außer- 
ordentlichen Einnahmen ergab. Bei einem Budget von etwa 50 Mill. 
wichen also die Schätzungen der tüchtigsten Finanzmänner um volle 8 Mill. 
von einander ab..) Der in der Polemik immer maßlose Schön wollte sogar 
einen Uberschuß von 21 Mill. nachweisen. Die Folge lehrte, daß Bülow, 
der nur von Schuckmann unterstützt wurde, die Lage richtiger beurteilt 
hatte als seine zuversichtlichen Gegner. Aber er vermochte seine Behaup- 
tungen nicht zu beweisen, und als nun der Referent der Kommission, Staats- 
rat Friese, den Staatshaushalt im einzelnen mit eindringender Sach- 
kenntnis prüfte, da stellte sich in allen Zweigen der Finanzverwaltung eine 
arge Unordnung heraus, die mit den Wirren der Kriegsjahre allein nicht 
mehr entschuldigt werden konnte. Von Humboldt geführt nahm die ge- 
samte Kommission wie ein Mann gegen den Finanzminister Partei und 
überhäufte ihn mit Vorwürfen. Der wies die Anklagen in leidenschaftlicher 
Rede zurück, warf alle Schuld auf die unerschwinglichen Kosten des neuen 
Heerwesens und ließ in seinem Zorne auch einige scharfe Worte wider die 
verschwenderische Sorglosigkeit seines Vetters fallen. Seltsame Verschiebung 
der Parteien! Mit einem Male sah sich Hardenberg von seinem Liebling 
Bülow angegriffen, von seinem Nebenbuhler Humboldt verteidigt. 
Der Kriegsminister nahm sofort den Handschuh auf. Er bemerkte 
mit Besorgnis, daß jener geheime Kampf des Zivilbeamtentums gegen die 
Armee, der in dem Jahrzehnt vor 1806 so viel Unheil angerichtet, jetzt da 
die Waffen ruhten von neuem zu entbrennen drohte; er wußte auch, daß 
sich Bülow bereits bei dem General Lingelsheim ein Gutachten über die 
Wiederherstellung der fridericianischen Heeresverfassung bestellt hatte. Um 
solchen Bestrebungen einen Riegel vorzuschieben und den Staatsrat ein 
für allemal über die staatswirtschaftlichen Vorzüge des neuen Heerwesens 
aufzuklären, verfaßte Boyen eine geistvolle Denkschrift „Darstellung der 
Grundsätze der alten und der gegenwärtigen preußischen Kriegsverfassung“ 
(Mai 1817), die mit überzeugender Klarheit erwies, daß Preußen noch nie ein 
so starkes und zugleich so wohlfeiles Heer besessen hatte. Der Staat war doch 
allmählich ausgewachsen; mit jeder Vermehrung seines Gebietes verringerte 
sich die krampfhafte Uberspannung seiner physischen Kräfte. Das Heer 
hatte unter Friedrich Wilhelm I. fünfmal, unter Friedrich dem Großen fast 
dreimal mehr gekostet als die gesamte übrige Verwaltung; jetzt zum ersten 
Male nahm der Zivildienst, allerdings mit Einschluß der kostspieligen Staats- 
schuldenverwaltung, die größere Hälfte der Staatseinnahmen in Anspruch. 
Boyen berechnete die Kosten des Heerwesens, etwas zu niedrig, auf 21 Mill. 
und zeigte, daß der Staat jetzt 238,000 Mann mehr ins Feld stellen könne 
*) Schuckmanns Bericht an Hardenberg, 11. Juli 1817.
	        
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