Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

216 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
Adam Smith: solche abstrakte Theorien sind gut genug für das stille Ka- 
theder von Glasgow. Erst das kühne Vorgehen der Berliner Staats- 
männer ermutigte die englischen Freihändler mit ihrer Meinung heraus- 
zurücken. Auf das „glänzende Beispiel, welches Preußen der Welt gegeben“, 
berief sich die freihändlerische Petition der Londoner City, welche Baring 
im Mai 1820 dem Parlamente übergab. An Preußen dachte Huskisson, 
als er seinen berühmten Satz aufstellte: „der Handel ist nicht Zweck, er 
ist das Mittel, Wohlstand und Behagen unter den Völkern zu verbreiten“ 
und seinem Volke zurief: „dies Land kann nicht still stehen, während andere 
Länder vorschreiten in Bildung und Gewerbefleiß." 
Den freihändlerischen Ansichten der preußischen Staatsmänner genügte 
das neue Gesetz nicht völlig. Man ahnte im Finanzministerium wohl — 
J. G. Hoffmann hat es oft gestanden — daß der weitaus größte Teil 
des Zollertrags allein von den gangbarsten Kolonialwaren aufgebracht 
werden und die Staatskasse von anderen Zöllen nur geringen Vorteil 
ziehen würde. Aber man sah auch, daß jedem Steuersysteme durch die 
Gesinnung der Steuerpflichtigen feste Schranken gezogen sind; die öffent- 
liche Meinung jener Tage würde der Regierung nie verziehen haben, wenn 
sie den Kaffee besteuert, den Tee frei gelassen hätte. Maassen verwarf 
jede einseitige Begünstigung eines Zweiges der Produktion, er rechnete auf 
das Ineinandergreifen von Ackerbau, Gewerbe und Handel und betrachtete 
die Schutzzölle nur als einen Notbehelf um die deutsche Industrie all- 
mählich zu Kräften kommen zu lassen. Schon bei der ersten Revision des 
Tarifs im Jahre 1821 tat man einen Schritt weiter im Sinne des 
Freihandels, vereinfachte den Tarif und setzte mehrere Zölle herab. Wäh- 
rend das Gesetz von 1818 für die westlichen Provinzen einen eigenen 
Tarif mit etwas niedrigeren Sätzen aufgestellt hatte, fiel jetzt jeder Unterschied 
zwischen den Provinzen hinweg; die Zollrolle von 1821 bildete in Form 
und Einrichtung die Grundlage für alle späteren Tarife des Zollvereins. 
Derweil der Staatsrat diese Reform zum Abschluß brachte, erging 
sich die unreife nationalökonomische Bildung der Zeit in widersprechenden 
Klagen. Die Massen meinten die Verteuerung des Lebensunterhalts 
nicht ertragen zu können, die Fabrikanten sahen „dem englischen Handels- 
despotismus“ Tür und Tor geöffnet und bestürmten den Thron aber- 
mals mit so verzweifelten Bittschriften, daß der König, obwohl selbst mit 
Maassens Plänen ganz einverstanden, doch eine nochmalige Prüfung des 
schon unterschriebenen Gesetzes befahl. Erst am 1. Sept. 1818 wurde das 
Bollgesetz veröffentlicht, erst zu Neujahr 1819 traten die neuen Grenz- 
zollämter in Tätigkeit. Am 8. Febr. 1819 erschien das ergänzende Gesetz 
über die Besteuerung des Konsums inländischer Erzeugnisse, wonach nur 
Wein, Bier, Branntwein und Tabaksblätter einer Steuer unterlagen, die 
ohne unmittelbare Belästigung der Verzehrer von den Produzenten zu er- 
heben war.
	        
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