Grundgedanken des Zollgesetzes. 217
Die neue Gesetzgebung hielt im ganzen sehr glücklich die Mitte zwi—
schen Handelsfreiheit und Zollschutz. Nur nach einer Richtung hin wich
sie auffällig ab von den Grundsätzen des gemäßigten Freihandels: sie be—
lastete den Durchfuhrhandel unverhältnismäßig schwer. Der Zentner
Transitgut zahlte im Durchschnitt einen halben Taler Zoll, auf einzelnen
wichtigen Handelsstraßen noch weit mehr — sicherlich eine sehr drückende
Last für ordinäre Güter, zumal wenn sie das preußische Gebiet mehrmals
berührten. Die nächste Veranlassung zu dieser Härte lag in dem Be—
dürfnis der Finanzen. Preußen beherrschte einige der wichtigsten Handels—
straßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands mit dem Oberlande, die
alten Absatzwege des polnischen Getreides, den Verkehr Leipzigs mit der
See, mit Polen, mit Frankfurt. Man berechnete, daß die volle Hälfte
der in Preußen eingehenden Waren dem Durchfuhrhandel angehörte.
Die erschöpfte Staatskasse war nicht in der Lage, diesen einzigen Vorteil,
den ihr die unglückliche langgestreckte Gestalt des Gebietes gewährte, aus
der Hand zu geben. Uberdies stimmten alle Kenner des Mautwesens
überein in der für jene Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch
Besteuerung der Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollsystems ge-
sichert werden könne. Gab man den Transit völlig frei, so wurde dem
Unterschleif Tür und Tor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel von
Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das ganze
Gelingen der Reform in Frage gestellt. Die unbillige Höhe der Durch-
fuhrzölle aber und das zähe Festhalten der Regierung an diesen für die
deutschen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt sich nur aus politischen
Gründen. Der Transitzoll diente dem Berliner Kabinett als ein wirksames
Unterhandlungsmittel, um die deutschen Kleinstaaten zum Anschluß an
die preußische Handelspolitik zu bewegen.
Von jenem Traumbilde einer gesamtdeutschen Handelspolitik, das
während des Wiener Kongresses den preußischen Bevollmächtigten vorge-
schwebt hatte, war man in Berlin längst zurückgekommen. Die Unmög-
lichkeit solcher Pläne ergab sich nicht bloß aus der Nichtigkeit der Bundes-
verfassung, sondern auch aus den inneren Verhältnissen der Bundes-
staaten. Hardenberg wußte, daß der Wiener Hof an seinem altväterischen
Provinzialzollsystem nichts ändern wollte und seine nichtdeutschen Kron-
länder einem Bundeszollwesen schlechterdings nicht unterordnen konnte.
Aber auch das übrige Deutschland bewahrte noch viele Trümmer aus der
schmählichen kosmopolitischen Epoche unserer Vergangenheit. Noch war
Hannover von England, Schleswigholstein von Dänemark abhängig, noch
stand Luxemburg in unmittelbarer geographischer Verbindung mit dem
niederländischen Gesamtstaate. Wie war ein gesamtdeutsches Zollwesen
denkbar, so lange diese Fremdherrschaft währte? Auch die Verfassung
mehrerer Bundesstaaten bot unübersteigliche Hindernisse. Die preußische
Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer durfte