Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

250 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
flüsterungen der Kapläne ließen die Dankbarkeit für die Wohltaten der 
preußischen Herrschaft nicht aufkommen, und bald galten bei den Bauern 
die Namen: katholisch und polnisch, evangelisch und deutsch als gleich- 
bedeutend. Das Feuer des Aufruhrs glimmte unter der Asche, aber erst 
nach wiederholtem Verrat der Polen entschloß sich die Krone zu der ein- 
zigen Politik, welche dies bedrohte Grenzland dem Staate sichern konnte, 
zur unverhohlenen Begünstigung der deutschen Kultur. — 
Einfacher lagen die Dinge in Preußen. Wohl bestand auch in West- 
preußen eine Adelspartei, welche sehnsüchtig nach dem Restitutor Polonige 
hinüberblickte. Die polnischen Edelleute in den zurückgewonnenen Gebieten 
Michelau und Kulmerland verhielten sich so zweideutig, daß der geistreiche 
Präsident Hippel kurz vor der Huldigung in Thorn dem Staatskanzler schrei- 
ben mußte: „leider kann ich eigentlich Keinen als würdig nennen, wenn nicht 
durch Gnadenbezeigungen Verirrte bekehrt und gewonnen werden sollen.“) 
Auch Danzig, furchtbar heimgesucht von den Nöten des Krieges, stand 
noch lange störrisch dem Staate gegenüber, der ihm Frieden und Wohl- 
stand wiederbrachte. Wie hatte sich doch die schönste unserer alten Städte, 
fast den Holländern gleich, so ganz hinausgelebt aus der Gemeinschaft ihres 
Volkes. Der dreißigjährige Krieg, für uns die Zeit des tiefsten Verfalls, 
war für Danzig wie für Holland das Zeitalter der Blüte. Trotzig wie 
nirgends auf deutschem Boden war hier, im beständigen Kampfe mit 
dem polnischen Adel, der reichsstädtische Geist aufgeblüht; an dem Artus- 
hofe und den hochgiebligen Patrizierhäusern prangten überall die Bilder 
der republikanischen Helden Maccabäus, Camillus, Scipio. Obwohl von 
den alten kriegerischen Stadtjunkergeschlechtern des nordischen Venedig nur 
wenige die Stürme der napoleonischen Kriege überstanden hatten, so ge- 
wöhnte sich die rührige Handelsstadt doch schwer an die Formen des mo- 
dernen Beamtenstaates, und nach einem Menschenalter rechnete sich der 
Danziger von altem Schrot und Korn noch nicht zu „den Preußen“. Die 
Hauptmasse der Provinz dagegen gehörte nun schon seit vierzig Jahren 
dem deutschen Staate an und hatte — das polnische Landvolk nicht aus- 
geschlossen — in schwerer Zeit eine musterhafte Treue bewährt. Vollends 
in Ostpreußen gedachten Deutsche, Litauer und Masuren alle mit gleichem 
Stolze des Königsberger Landtags und ihrer tapfern Heurichs. 
Beide Provinzen hatten unsäglich gelitten. Der König bewilligte den 
Grundbesitzern bedeutende Mittel zur Wiederherstellung ihrer Güter, für 
Ostpreußen allein 3,7 Mill. Tlr., und ließ den Oberpräsidenten mit den 
Provinzialständen über die Verteilung verhandeln. Aber was wollten diese 
Summen bedeuten, da der Gesamtverlust der beiden Provinzen an 
Kriegsschäden und Leistungen seit 1806 von den Landständen auf 152 Mill. 
Tlr. geschätzt wurde? Manche Irrtümer und Mißgriffe liefen dabei mit 
  
  
*Hippel, Bericht an den Staatskanzler, 19. Juli 1815.
	        
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