Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

258 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
Unterschied zwischen den derben Niederdeutschen und den feiner gesitteten 
Familien der französischen Kolonie. 
Im Hochsommer strömte Alt und Jung hinaus um sich beim Stra— 
lauer Fischzuge an den Nationalgerichten, Aal, Gurken und Weißbier zu 
erlaben. Das Königsschießen der Schützengilde stand noch in hohen Ehren, 
und das neue Reglement von 1813 hielt für nötig ausdrücklich zu be- 
merken: auf Steuerfreiheit würden der Schützenkönig und seine beiden 
Ritter als gutgesinnte Bürger wohl selber keinen Anspruch erheben. Die 
Kaufleute zerfielen in die zwei scharf getrennten Gilden der Material- 
und der Tuch= und Seidenhändler. Zweimal wöchentlich veröffentlichten 
die Makler einen Kurszettel, der nur wenige fremde Papiere aufzählte; 
der kleine Bürger aber rechnete nur nach Dreiern. Alle Massengüter langten 
zu Wasser an, da selbst mit Hamburg noch keine ununterbrochene Chaussee- 
verbindung bestand; im Winter stockte das Geschäft, im Frühjahr und 
Herbst drängten sich die Kähne auf der Spree, doch genügte selbst dann 
der eine Krahn im königlichen Packhofe um die Waren der sämtlichen 
Fuhrleute und Schiffer abzuladen. Inmitten dieser beschränkten Verhält- 
nisse verrieten sich doch schon die Anfänge eines reicheren Verkehrs. Die 
Gastwirte der großen Höfe, wo die Fuhrleute einkehrten und auf Ladung 
warteten, begannen selber die Vermittlung des Frachtverkehrs zu über- 
nehmen; aus diesen Fuhrmannsherbergen entstanden seit 1816 die großen 
Speditionsgeschäfte, welche, begünstigt durch die glückliche Lage der Stadt, 
nach kurzer Zeit den besten Teil des nordostdeutschen Handels an sich 
zogen. Welch ein Aufsehen, als Cockerill im Jahre des Friedensschlusses 
auf der neuen Friedrichsstraße eine Fabrik erbaute, die der Wollmanu- 
faktur alle Werkzeuge und Maschinen liefern sollte; dort arbeitete eine 
Dampfmaschine von beinahe dreißig Pferdekräften, und nicht lange, so 
erleuchtete man die Werkräume gar mit Kohlengas. Ein Jahr später 
ward der erste Jacquardsche Webstuhl in der Berliner Seidenwirkerei ein- 
geführt. Zwar die Wollindustrie, die im Jahre 1803 schon 1465 Stühle 
beschäftigt hatte, war jetzt auf 420 Stühle herabgekommen; auch die Garn- 
spinner konnten nach der Aufhebung der Kontinentalsperre kaum noch be- 
stehen, da die Engländer das Geheimnis ihrer Spinnmaschine wohl be- 
wahrten. Aber die Baumwoll-Weber und -Drucker, die Tuchwalker und 
viele andere Gewerbe schritten rüstig vorwärts. So ward durch die harte 
Arbeit eines genügsamen, sorgenvollen Geschlechts langsam der Grund ge- 
legt für die Macht der ersten deutschen Fabrikstadt. — 
In allen diesen Provinzen waren nur kleine Stücke neuerworbenen 
Landes einem festen Kern altpreußischen Gebiets anzuschließen; hingegen 
das wunderliche Gewirr von zweiunddreißig großen und ungezählten kleinen 
Herrschaften, das man jetzt die Provinz Sachsen nannte, bedurfte eines 
vollständigen Neubaus. Mittel= und niederdeutsches, altgermanisches und 
wendisches Land stießen hier aufeinander; die alte Grenze zwischen dem
	        
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