Provinz Sachsen. 259
mainzischen und dem magdeburgischen Kirchensprengel, die so lange den
Westen und den Osten Deutschlands geschieden hatte, lief mitten durch
dies Gebiet. Dazu die schärfsten Gegensätze des wirtschaftlichen und
des kirchlichen Lebens. Hier die üppigen Niederungen der Goldenen Aue
und des Magdeburger Landes, dort auf den rauhen Hochebenen und in
den feuchten Talgründen des Eichsfeldes die armen, unter der schlaffen
Herrschaft des Krummstabs ganz verwahrlosten Weberdörfer mit ihren
zahllosen winzigen Feldstreifen. In dem neuen Regierungsbezirke Merse—
burg bestand nur eine einzige katholische Kirche; das Geburtsland von
Luther, Paul Gerhard, Rinckart, die Heimat der Reformation lebte und
webte in protestantischen Erinnerungen. Auf dem Eichsfelde war den
Jesuiten des Mainzer Kurfürsten die Arbeit der Gegenreformation, bis
auf wenige Dörfer, vollständig gelungen, erst die Preußen hatten im
Jahre 1804 in Heiligenstadt evangelischen Gottesdienst wieder eingeführt.
Und bei alledem nicht einmal ein wohlabgerundetes Gebiet. Die Elbe
bildete nur für einen kleinen Teil der Provinz, und bei weitem nicht
in gleichem Maße wie der Rhein und die Oder, die gemeinsame Verkehrs—
ader. Die neue Hauptstadt Magdeburg war herabgekommen wie ihr halb
verfallener Dom, sie zählte mitsamt den Vororten nur 31,000 Ein—
wohner, sie lebte dem Handel und konnte niemals den Mittelpunkt für
das gesamte Kulturleben der Provinz bilden, denn die Zeit war längst
vorüber, da hier einst die freie Presse der Protestanten ihre letzte Zuflucht
gefunden hatte.
Die treuen Magdeburger und Altmärker verhehlten kaum, wie wenig
ihnen an der Gemeinschaft mit den kursächsischen Rheinbündnern lag,
und diese leisteten die Huldigung mit schwerem Herzen, obwohl manche be—
flissene Polizeibeamte dem Staatskanzler von lautem Volksjubel berichteten.
In jedem Schlosse und jeder Kirche des Kurkreises erinnerte das Wappen—
schild mit dem Rautenkranze an die alte Geschichte eines Staates, der einst
die stolze Vormacht des deutschen Protestantismus gewesen. Hier war
man gewohnt aus dem Behagen einer älteren Kultur und höheren Wohl—
stands auf die brandenburgischen Emporkömmlinge herabzuschauen; nun
mußte man die Teilung des Königreichs und darauf noch die Abtrennung
der Lausitzen erleben; dann wurden die Universität und die obersten Be—
hörden der Provinz in das Magdeburgische verlegt, obgleich die Merse-
burger ihre Stadt doch so dringend dem Könige als die einzig geeignete
Hauptstadt empfohlen hatten;) und dazu noch die neue königlich preu-
ßhische Religion, die das alte Luthertum zu verdrängen drohte. Der Groll
äußerte sich anfangs so lebhaft, daß selbst in den Schulen die Söhne der
preußischen Beamten beständig mit den Eingeborenen zu raufen hatten. Am
heftigsten zürnte der Adel; denn obwohl die neue Herrschaft seine Interessen
*) Eingabe der Stadt Merseburg an den König, 3. Okt. 1815.
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