Beruhigung der Kursachsen. 261
Zu diesem Bezirke gehörten jene ausgesogenen Striche Thüringens, welche
einst unmittelbar unter Napoleons Verwaltung gestanden und, als ein
unsicheres Besitztum, die härteste Mißhandlung erfahren hatten. Hier
ward denn rücksichtslos aufgeräumt was „der Schlendrianismus“ der
sächsischen, die Gewalttätigkeit der französischen Behörden gesündigt hatte,
der Unterricht der Gymnasien wie der Volksschulen durch den wackeren
Schulrat Hahn neu gestaltet, die Tätigkeit gemeinnütziger Vereine, auch
der Turnplätze, erweckt und gepflegt, das arme Volk des Eichsfeldes in
soweit unterstützt, daß die Hungerjahre von 1816 und 17 erträglich vor-
übergingen und Staatsrat Kunth auf seiner Dienstreise die einst so ver-
nachlässigten Feldfluren kaum mehr wiedererkannte.
Uberall freilich hemmte der unfertige Zustand der altpreußischen
Gesetzgebung. Da die dringend nötige Revision der Steinschen Städte-
ordnung noch immer ausblieb, so half man sich mit vorläufigen Maß-
regeln, führte die Stadtverordnetenwahlen nach preußischem Muster und
die genaue Prüfung der städtischen Rechnungen ein, bewog die Stadt
Naumburg, sich endlich mit ihrem Domhose und ihren vier Vorstädten
über eine gemeinsame Polizeiverwaltung zu verständigen, und als der
kleine Jammer dieser mühseligen Verhandlungen überstanden war, begann
das Volk allmählich zu fühlen, daß eine bessere Zeit in das Land ein—
zog. Die Provinz holte mit einem Sprunge nach was das kursächsische
Adelsregiment zwei Jahrhunderte hindurch versäumt hatte. Zuerst die
Bürger und die Bauern, dann auch die Edelleute gewöhnten sich an die
neuen Zustände und übertrugen die patriarchalische Verehrung, die sie bis—
her für König Friedrich August gehegt, auf den neuen Fürsten. Und
wie viel einfacher und zugänglicher als der alte erschien der neue Herr,
der den grollenden Merseburgern beim ersten Einzuge mahnend zurief:
„wir sind ja doch Alle Deutsche.“ Das Mißtrauen der vormaligen Kur—
sachsen gegen ihre altmärkischen und magdeburgischen Mitbürger verschwand
nach und nach; aber da der Deutsche nicht ohne nachbarlichen Haß leben
konnte, so begannen jetzt die Sachsen im Königreiche die zufriedenen
Torgauer und Eilenburger des Verrates zu bezichtigen und die preußischen
Sachsen als den Auswurf des „preußischen Stammes“ zu verwünschen.
Wenige Jahre nach der so schmerzlich beweinten Teilung sah man schon
in manchen Grenzdörfern einen Sächsischen Hof und einen Preußischen
Hof, beide in ihren Landesfarben prunkend, trutzig neben einander liegen.
Die gewaltige Anziehungskraft des preußischen Staates fand, wie die
Kenner des Landes schon auf dem Wiener Kongresse vorausgesagt, nirgends
leichteres Spiel als bei dem bildsamen obersächsischen Stamme. —
Ebenso mannigfaltige und doch einfachere Verhältnisse traten der
neuen Verwaltung in der Provinz Westfalen entgegen. Trotz der Ver—
schiedenheit ihrer politischen Schicksale hatten sich die Heimatlande des
weißen Sachsenrosses zu allen Zeiten einen starken gemeinsamen Stammes-