Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

262 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
stolz erhalten. Die uralte Völkerscheide auf den Höhen über Barmen, 
welche einst die Sachsen von den Franken trennte, blieb nachher Jahr— 
hunderte lang die Grenze zwischen der Grafschaft Mark und dem Herzog— 
tum Berg; mit einer Abneigung, die von drüben ebenso herzlich erwidert 
ward, blickte der ernste, verschlossene Niedersachse auf die leichtlebigen, red— 
seligen Rheinfranken und spottete über den „bergischen Wind“. Auf den 
Hochschulen standen die Westfälinger stets unter dem grün-weiß-schwarzen 
Banner ihrer Landsmannschaft zusammen, hochberühmt als unersättliche 
Zecher und Schläger, und alle kehrten regelmäßig in die Heimat zurück. 
Auch die mächtigen Geschlechter der Droste, Spiegel, Galen, Fürstenberg 
hielten sich dem abenteuerlichen Reislaufen des deutschen Adels fern und 
blieben zumeist seßhaft daheim; nur jene Nebenzweige der alten Familien, 
die einst mit dem Deutschen Orden an die Düna gezogen waren, die Ketteler, 
die Plettenberg, erwarben sich außerhalb der Landesgrenzen Macht und 
Ruhm. Als nunmehr fast die gesamte rote Erde unter die preußische 
Krone kam, da ward die Wiedervereinigung der Lande Wittekinds doch 
selbst in den Krummstabsgebieten, die dem protestantischen Königtum 
mißtrauten, mit Freude begrüßt, und man beklagte nur, daß Osnabrück, 
die Heimat des vaterländischen Klassikers Justus Möser nebst einigen 
Strichen des Münsterlandes bei Hannover und Oldenburg verblieb. 
Niemand empfand diese Freude lebhafter als der Oberpräsident Frei— 
herr Ludwig von Vincke, der schon während des Krieges die provisorische 
Verwaltung geführt hatte und von allen Seiten als das einzig mögliche 
Oberhaupt der Provinz angesehen wurde. Ein Verwaltungstalent großen 
Stiles, durch Reisen und Studien mit dem Staatsleben und der Volks- 
wirtschaft des Auslandes gründlich vertraut, war er doch vor allem ein 
westfälischer Edelmann geblieben, derb, formlos, geradezu, so fest ver- 
wachsen mit dem Boden der Heimat, wie jener alte Soester Maler, der 
sich selbst das Abendmahl des Heilands nicht ohne einen saftigen west- 
fälischen Schinken denken konnte. Wohin ihn auch der Staatsdienst 
führte, in Aurich wie in Potsdam hatte er stets das Ziel im Auge be- 
halten, das ihm schon in jungen Jahren als höchster Lebenszweck erschienen 
war: „mein Vaterland Westfalen soll dereinst das Bild der vollkom- 
mensten Einrichtungen abgeben.“" 
Welch ein Glück, als er nun mit der Verwaltung des wiedervereinigten 
Landes betraut wurde; nur „die unerträgliche Briefträgerei“, die Ab- 
hängigkeit von den Ministern in Berlin fiel seinem trotzigen Sinne schwer. 
Von Jugend auf hatte er fast mit allen den ungewöhnlichen Männern, 
welche dies klassische Zeitalter des preußischen Beamtentums zierten, in 
enger Freundschaft gelebt und zwischen den beiden Reformparteien immer 
eine Mittelstellung eingenommen. Da er wie Stein die politische Frei- 
heit vornehmlich in der Selbstverwaltung eines kräftigen, selbständigen 
Bürger= und Bauernstandes suchte, so bekämpfte er wie jener die unbe-
	        
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