Westfalen. 265
die Dörfer droben doch auch ihren Verdienst hätten von Fuhrmanns—
zehrung und Vorspann. Da der Oberpräsident die Dürftigkeit des Staats-
haushalts genugsam kannte, so versuchte er auch das Kapital aus dem
Lande selbst für den Straßenbau zu gewinnen und belehrte seine West-
falen in einer Provinzialzeitung: wie die Engländer, wenn ein neuer
Verkehrsweg, eine Brücke, ein Kanal notwendig scheine, zuerst alle Be-
teiligten zu einer Versammlung einlüden, dann einen Ausschuß wählten
und Gelder zeichneten. Aber der kühne Aufruf erschien zu früh. Für
solche Wagnisse war dies gedrückte Geschlecht verarmter Kleinbürger noch
nicht zu gewinnen; es galt schon als ein großer Erfolg, daß doch eine
Brücke, auf der Altenaer Straße, durch Aktienzeichnung zustande kam.
Noch ärger als die kölnischen Kurfürsten hatten die letzten Bischöfe von
Paderborn ihr Land vernachlässigt. Mit Entsetzen lernte Vincke dies Irland
Westfalens kennen: überall kümmerliche Zwergwirtschaft und baufällige
Hütten, wunderbar verschieden von den stattlichen Bauernhöfen am Hell-
weg: das Volk gutartig, aber trunksüchtig, verwildert, im ewigen Kriege
mit dem Gesetze, so daß oft große Banden mit langen Wagenzügen in
die Forsten einbrachen, ganze Waldstrecken in einer Nacht entblößten; und zu
alledem „die Pest des Landes", die Wucherjuden in jedem Dorfe.) Auch
hier erwarb sich der Oberpräsident nach einiger Zeit stillen Kampfes das all-
gemeine Vertrauen, als er mit fester Hand die bürgerliche Ordnung wieder-
herstellte, neue Schulen anlegte, den alten Lehrern, die oft nur 30 Tlr.
Gehalt bezogen, Zuschüsse verschaffte, die Ansiedlung der Juden erschwerte
und der Hausindustrie neue Absatzwege eröffnete. Seit im Jahre 1817
die große Irrenanstalt zu Nieder-Marsberg für die Provinz erworben
ward, entstanden in langer Reihe jene stattlichen Pflegehäuser für Arme,
Kranke, Taubstumme, Blinde, die den Neid der Nachbarländer erregten.
Nur der Adel des Münsterlandes wollte die stolze Geschichte seines
reichsunmittelbaren Hochstifts nicht vergessen und bewahrte unversöhnt den
alten Groll gegen die preußische Herrschaft. Man gab wohl zu, daß West-
falen geringere Steuerlasten trug als der Osten, und die einzige drückende
Angabe, die von den napoleonischen Beamten sehr ungerecht verteilte
Grundsteuer, erst nach einer langwierigen Katastrierungsarbeit umgestaltet
werden konnte; auch über den protestantischen Hochmut der Beamten und
Offiziere, der in der bösen Zeit vor 1806 zuweilen verletzend hervorgetreten
war, konnte man jetzt nicht mehr klagen. Gleichwohl blieb der Charakter
dieses paritätischen Staates den klerikalen Edelleuten des Münsterlandes
ebenso widerwärtig wie dem polnischen Adel. In dem munteren schau-
lustigen und schönheitsfrohen Volke der rheinischen und süddeutschen Lande
hat sich die katholische Bildung stets einen gemütlichen Zug naiver, harm-
loser Heiterkeit bewahrt; unter den schweren, grüblerischen Nordländern
*) Vincke, Übersicht über die Verwaltung Westfalens, August 1817.