Das linke Rheinufer. 269
denen die Staatsgesinnung der Deutschen wurzelte; denn auch Jülich, das
der Düsseldorfer Hof immer als ein Nebenland behandelt hatte, kannte die
dynastische Treue kaum. Bereits verstimmt durch die lange wirrenreiche
provisorische Verwaltung, traten diese staatlosen Menschen jetzt unter ein
völlig fremdes Herrscherhaus, das hier noch von den Zeiten des Krumm—
stabs her als der arge Störenfried im Reiche galt und neuerdings durch
das Gespött der Franzosen in den übelsten Ruf gekommen war. So viele
politische Stürme waren in kurzen Jahren über den Rhein dahingebraust;
warum sollte nicht auch dies so plötzlich ins Land geschneite Preußen—
tum wieder verschwinden? Das Volk glaubte noch nicht an die Dauer
der neuen Herrschaft, lauschte begierig auf das immer wieder auftauchende
Gerücht, daß die Provinz gegen das Königreich Sachsen ausgetauscht wer—
den solle, und betrachtete das rücksichtsvolle Vorgehen der preußischen
Regierung, das von dem herrischen Gebaren der napoleonischen Präfekten
so seltsam abstach, als ein Zeichen der Schwäche.
Was hier von nationalen Erinnerungen noch lebte, wies auf die Habs—
burger und das heilige Reich zurück. Wie dürftig erschien den Bürgern von
Aachen das Huldigungsfest der beiden rheinischen Provinzen, nach allen den
Kaiserkrönungen, welche die stolze Stadt einst gesehen. Im Kölner Lande
meinte man die Preußen zu kränken durch den alten Spruch: „halt fest am
Reich du kölnischer Bauer, mag es fallen süß oder sauer;“ wie lange noch,
bis man erkannte, daß Preußen der Erbe des alten Reiches war! Obgleich
das geistlose Regiment des Bonapartismus auch das kirchliche Leben ver—
flacht hatte und der Klerus des Rheinlands zu Anfang der Friedens—
jahre an Bildung weit ärmer war als die Geistlichkeit Westfalens oder
Bayerns, so behauptete die Kirche noch immer ihr altes Ansehen. Es
war doch nicht bloß das sinnliche Behagen der Krummstabsherrschaft und
die reiche Pracht ihrer Hof- und Kirchenfeste, was die Kurkölner und
Kurtrierer an ihre alte Kirche kettete. Der katholische Glaube wurzelte fest
in den Gemütern, er galt hier wie bei den Romanen als die einzig
mögliche Form des Christentums; der Geistliche war und blieb der ver—
ehrte Ratgeber des Volkes in allen Fragen des Lebens. Das hatten
schon die Jakobiner erfahren da sie einst, unter dem drohenden Murren
der Rheinländer, die Göttin der Vernunft auf den Altar setzten und das
Marienbild vom Bonner Schlosse herabzureißen versuchten. Als nun die
neuen protestantischen Lehrer und Beamten ins Land kamen, als die pari—
tätische Hochschule eröffnet wurde, als in dem heiligen Trier am Jubel-
tage der Reformation wieder die evangelische Predigt erklang, zum ersten
Male seit den Tagen des Erzketzers Olevianus, da begann das katholische
Volk zu klagen — nicht eigentlich aus Unduldsamkeit, sondern weil dies
neue Wesen dem heimischen Brauche widersprach. Der Provinzialgeist
hüllte sich in kirchliche Gewänder: „wir sind Rheinländer“, hieß es jetzt,
„und darum gut katholisch."