270 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Mit gewandten Händen schürte die kleine, aber im Stillen wachsende
ultramontane Partei das Feuer des rheinischen Partikularismus; sie hatte
die Hoffnung noch nicht aufgegeben, diese Kernlande der Priesterherrschaft
dereinst der weltlichen Gewalt wieder zu entreißen. Wenn der Bischof
von Trier jetzt zur Firmung seinen Sprengel bereiste, dann gaben ihm
berittene Bauerburschen, mit kurtrierischen Fahnen in der Hand, das
Geleite, was sie unter französischer Herrschaft nie gewagt hatten. Nicht
minder laut als die Polen klagten die Rheinländer in den Bischofs-
landen über die Unmasse der fremden Eindringlinge, die ihre Heimat
überschwemmten. Die Beschwerde ward so hartnäckig wiederholt, daß
sie endlich auch in den freundlich gesinnten niederrheinischen Landschaften
Anklang fand und sogar Benzenberg pathetisch versicherte: das „Indigenat"
sei das natürliche Recht jedes Volkes, schon der große Kurfürst habe
den clevischen Landständen versprochen, nur Landeskinder bei ihnen an-
zustellen. In der Tat war eine gründliche Säuberung des rheinischen
Beamtentums erfolgt. Die Präfekten, allesamt Franzosen, hatten das
Land verlassen, desgleichen die Unterpräfekten, mit Ausnahme der drei
oder vier deutschen; die Gemeindeverwaltung war völlig verwahrlost, da
die Maires zumeist kein Französisch verstanden und ihre Geschäfte un-
wissenden Schreibern überließen. Dennoch verfuhr der König bei der
unvermeidlichen Neugestaltung sehr schonend; er sprach es als seinen „un-
abänderlichen Willen“ aus, daß niemand am Rhein seine Stelle ver-
lieren dürfe, außer im Falle erwiesener Unfähigkeit. Vielen der kaiserlichen
Beamten hielt man noch jahrelang ihre Stellen offen bis sie sich in Bonn
die wissenschaftliche Bildung erworben hatten, welche das Gesetz von den
preußischen Staatsdienern verlangte. Im Jahre 1816 waren an den
sechs rheinischen Regierungen angestellt: 207 Rheinländer, 23 Nichtpreußen,
150 aus den anderen Provinzen, die Letzteren zumeist in den subalternen
Amtern, welche den ausgedienten Soldaten vorbehalten blieben: sicherlich
ein billiges Verhältnis, zumal da die große Mehrzahl der rheinischen
Juristen sich dem Justizfache zugewendet hatte und die Gerichte auch
fernerhin fast ausschließlich aus Landeskindern bestanden.)
Aber die einmal erregte Erbitterung wider „das kalte, starre Preußen=
tum“ fragte nichts nach Zahlen. Froh ihres gesegneten Landes, ihrer um
tausend Jahre älteren Kultur, noch gänzlich unbekannt mit der deutschen
Welt, die ihnen bei Frankfurt aufhörte, meinten die Rheinländer den Alt-
preußen in allem überlegen zu sein; „Litauer seid Ihr“ — rief einmal
Görres seinen altländischen Freunden zu, und alle Koblenzer dachten wie er.
Besonders anstößig erschien diesem ganz bürgerlichen Volke, daß sich unter
den altländischen Beamten auch einige Edelleute befanden. Eine Denk-
*) Kabinettsordre vom 8. November 1816. Ubersicht des Personals der rheinischen
Regierungen, 20. Februar 1817.