Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

272 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
Steuergesetze erschienen, wurden sie im Westen so mild gehandhabt, daß 
Benzenberg zu dem Schlusse kam: außer Posen und Westfalen sei keine 
andere Provinz der Monarchie niedriger besteuert. Mochten die Zahlen— 
reihen des beredten Publizisten immerhin der Kritik manche Blößen bieten: 
unbestreitbar blieb doch, daß die Steuerlast seit der napoleonischen Herr— 
schaft sich erheblich gemindert hatte. Der Regierungsbezirk Aachen zahlte 
im Jahre 1813 an Steuern 5 Tlr. 2 Sgr. 8 Pf. auf den Kopf, neun 
Jahre darauf nur 4 Tlr. 8 Sgr. 6 Pf. worunter 14 Sgr. Kommunal= 
abgaben. An der bescheidenen Höhe der Gemeindeabgaben hatte die neue 
Regierung auch ein Verdienst; denn sie half den rheinischen Städten bei 
der Neuordnung ihres verwickelten Schuldenwesens und erließ ihnen die 
bis zum Jahre 1815 rückständigen Zinsen, so daß die Mehrzahl der Kom- 
munen am Rhein sich ungleich besser befand als die Städte des Ostens 
mit ihrer drückenden Kriegsschuldenmasse. Trotz alledem kamen die Klagen 
über die Steuerlast nie zur Ruhe; man redete, als sei Preußen verpflichtet 
die Rheinländer für die Befreiung vom fremden Joche besonders zu belohnen. 
Schon bei ihrem Einzuge waren die Verbündeten in den alten Krumm- 
stabslanden nicht mit so ungeteilter Freude aufgenommen worden wie in 
Berg; die Abgeordneten des linken Ufers verblieben damals allesamt in 
dem Pariser Gesetzgebenden Körper — um den Tyrannen desto sicherer zu 
stürzen, wie sie nachher behaupteten. Vollends jetzt, da man über die Preußen 
murrte, geriet der furchtbare Druck der napoleonischen Herrschaft bald in 
Vergessenheit; man dachte nur noch an ihre Wohltaten, man schwärmte 
wieder für die glorreichen Jdeen von 89, man las mit Vorliebe französische 
oder belgische Zeitungen — denn die heimische Presse bot noch wenig, selbst 
die Kölnische Zeitung war noch ein kleines Blatt mit kaum 2000 Abonnenten 
— und schwor auf die neue Lehre, daß die Sonne über Europa im Westen 
aufgehe. Und doch bewies dies neu erwachende Franzosentum der Rhein- 
länder nur, wie kerndeutsch das Volk empfand; der rheinische Liberalismus 
entsprang derselben konservativ-partikularistischen Gesinnung, welche sich in 
allen anderen preußischen Provinzen jeder Veränderung des alten Landes- 
brauchs entgegenstemmte. Das Volk liebte das Bestehende weil es bestand, 
und die Regierung kam diesen Wünschen so weit als möglich entgegen. Die 
gesamte wirtschaftliche Gesetzgebung der Revolution, die ja im wesent- 
lichen den Gedanken der Stein-Hardenbergischen Gesetze entsprach, blieb un- 
verändert; desgleichen vorläufig die französische Gemeindeverfassung. Nur 
die Präfekten und Unterpräfekten mußten den Regierungen und den Land- 
räten weichen; und selbst diese heilsame Neuerung erregte lauten Tadel. 
Da sehe man doch, hieß es bitter, daß Preußen nur darauf ausgehe, das Be- 
amtenheer ins Unendliche zu vermehren; so Großes wie der eine Lezay- 
Marnesia, der unvergeßliche Präfekt des Rhein-Mosel-Departements, werde 
das gesamte neue Koblenzer Regierungskollegium nicht ausrichten. Immer 
wieder erzählte man sich von finsteren Anschlägen der Preußen gegen die
	        
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