Ingersleben. Solms-Laubach. 275
Graf Solms-Laubach in Köln, Steins Freund und Gehilfe bei der deut-
schen Zentralverwaltung, übernahm sein Amt aus patriotischem Pflichtge-
fühl, arbeitete sich mit großem Fleiß in die Verwaltungsgeschäfte ein und
vergaß den mediatisierten Herrn so völlig über dem monarchischen Beamten,
daß die begehrlichen Ritterbürtigen ihn bald als einen Abtrünnigen be-
trachteten; er kannte seine rheinischen Landsleute und verbot seinen Unter-
gebenen den herrischen altpreußischen Ton, den das Selbstgefühl der Rhein-
franken nicht erträgt. Keiner von beiden besaß die Selbständigkeit Vinckes;
aber sie fanden kräftige Hilfe bei der Gesamtheit des Beamtentums,
das fast durchweg aus tüchtigen Männern bestand und, von dem geist-
reichen trierschen Regierungspräsidenten Delius an bis herab zum letzten
Gendarmen, inmitten der argwöhnischen Bevölkerung fest zusammenhielt.
Wer nur offenen Auges um sich schaute, konnte überall auf Märkten und
Gassen bemerken, wie diesem Lande mit der Befreiung vom fremden Joche
auch die bürgerliche Freiheit und die alten vaterländischen Bräuche zurück-
kehrten. Die Schmuggler und die Deserteure, die Landplage der napo-
leonischen Zeit, verschwanden sofort, mit ihnen das unselige Häscher= und
Späherwesen. Die Städte schmückten sich wieder mit ihren stolzen Wappen,
die bisher als Symbole des Föderalismus verfehmt waren; auch die
alten, von den Franzosen abgeschafften Kirmessen und Schützenfeste lebten
wieder auf, freilich sah man in dem Fahnenschmucke der Festplätze fast nie-
mals die Adlerfahne, der das Volk doch das Wiedererwachen der rhei-
nischen Lustigkeit verdankte. Der Kölner Karneval hatte sich unter Napoleon
schüchtern in die Häuser zurückgezogen; jetzt klangen die fröhlichen Rufe:
Alaaf Köln! und Geck loß Geck elans! wieder auf den Gassen, die köl-
nischen Funken hielten ihre närrische Parade, und damit den Preußen doch
der Dank nicht fehle wurde wohl einmal ein großer, mit einem Lorbeer-
kranz geschmückter Stockfisch auf hoher Stange plötzlich über die Volks-
menge emporgehoben und mit einem stürmischen „Heil Dir im Sieger-
kranz“ begrüßt; der schweigsame König mißfiel den Rheinländern gründlich,
wie viel besser lebte sich's doch mit der ausgelassenen Munterkeit des witzigen
Kronprinzen. Im Jahre 1822 trat dann ein Verein zusammen, der die
Leitung des schönen Volksfestes in die Hand nahm und in seinen glän-
zenden Maskenzügen den Reichtum und das Behagen der neu auf-
blühenden rheinischen Hauptstadt mit jedem Jahre deutlicher bekundete.
Um dem Rheinlande ihre Duldsamkeit zu zeigen, gestattete die Regierung
auch, gegen das napoleonische Gesetz, den öffentlichen Umzug kirchlicher
Prozessionen; seit dem Jahre 1818 wurde das Fronleichnamsfest in Köln
wieder mit dem alten Pomp unter freiem Himmel gefeiert. Wunderbar,
wie die romantischen Ideen, die bisher nur in dem engen Kreise der
Boisserees gelebt hatten, jetzt mit einem Male ins Volk drangen, wie die
Rheinländer anfingen sich ihrer großen Geschichte wieder zu erinnern. Als
die Franzosen die Kunstwerke aus Köln und Aachen entführten, hatte nie-
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