Das oberrheinische Land. 355
den unzufriedenen mediatisierten Häusern der Fürstenberg, Leiningen,
Löwenstein. Von lebendigen historischen Erinnerungen war diesem Länder-
gewirr nahezu nichts gemeinsam; auch im Breisgau, wo der Stamnstitz
des Fürstenhauses lag, dachte niemand mehr an die alten zähringischen
Zeiten.
Und doch war diese ganz moderne Territorialbildung gar so un-
natürlich nicht. Auf dem Kamme des Schwarzwalds, fast auf den näm-
lichen Stellen, wo jetzt badisches und württembergisches Land aneinander
stieß, standen einst in den Anfängen der christlichen Zeitrechnung die
Grenzzeichen der Kelten und der Germanen, und auch als nachher die
Alemannen westwärts bis zu den Vogesen vordrangen, blieb der Schwarz--
wald noch immer eine natürliche Grenze. Auf der Ostseite erhielt sich
das schwäbische Volkstum, abgeschieden von der Welt, in seiner ur-
sprünglichen Kraft und Schwere. Die westlichen Täler des Schwarz-
waldes und die reiche Ebene davor wurden früh in die Regsamkeit des
rheinischen Lebens hineingezogen; durch das oberrheinische Land ging die
große Heerstraße zwischen dem Süden und dem Norden, während nach
Schwaben nur wenige stille Gebirgswege hinüberführten und auch der
Verkehr mit dem Elsaß durch das ungebändigte Wildwasser des Rheins
erschwert wurde. Von alters her, seit die Römer im Tale von Baden
und auf der Höhe von Badenweiler ihre üppigen Bäder errichteten, war
der sorglose Genuß in diesem gesegneten Lande zu Haus; nirgends in
Deutschland lebte man besser, und der schwerfällige Schwabe verlästerte
seine alemannischen Stammgenossen am Oberrhein, in deren Adern aller-
dings viel keltisches und römisches Blut floß, als windige Franzosen.
Ungleich empfänglicher und beweglicher als die schwäbischen Nachbarn,
aber auch ärmer an schöpferischen Köpfen hatte sich das oberrheinische
Volk zu allen Zeiten den neuen Ideen, welche die Welt entzündeten,
mit lärmender Begeisterung zugewendet. So lange die Kirche durch die
demagogischen Mittel der Kreuzpredigten und der Bettelorden die Massen
zu erregen verstand, war kein deutsches Land kirchlicher gesinnt als der
Oberrhein. Mit dem gleichen Ungestüm stürzte sich das Volk nachher in
die Kämpfe der Reformationszeit, aber nur die Minderheit besaß die
Kraft, in den Tagen der Prüfung beim evangelischen Glauben auszu-
halten. Und wieder als die alamodische Bildung der Franzosen eindrang,
fand sie nirgends in Deutschland eifrigere Schüler.
Die Verstandesweisheit der neuen Aufklärung, die alles historisch
gewordene nur als Willkür betrachtete, mußte unwiderstehlich auf dies
erregbare Völkchen wirken, das drei Glaubensbekenntnisse und eine Un-
zahl kraftloser, zufälliger Territorialgebilde auf engem Raume durchein-
ander gewürfelt sah. Sie blieb hier obenauf, auch nachdem die klassische
und die romantische Dichtung im übrigen Deutschland längst schon den
historischen Sinn geweckt hatten; und als nun fremde Willkür alle diese
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