Zar Alexander als Führer des Liberalismus. 373
endet, den Nebenbuhler in dem großen Wettlaufe um eine Kopflänge über—
holt! Angstlichen Gemütern klang der dröhnende Beifallsruf der libe—
ralen Welt schon wie das Grabgeläute des Hauses Zähringen. Max
Joseph aber hielt es nicht für unköniglich, eben jetzt zur Kur nach Baden—
Baden zu reisen, wo er dann nach seiner lustigen Art gegen jedermann
äußerte: wie schön, daß Bayern mit seiner Verfassung früher fertig ge—
worden! Großherzog Karl verließ, als ihm der freundnachbarliche Besuch
angekündigt wurde, sofort sein Schloß in Baden und ging in das stille
Schwarzwaldbad Griesbach; auch die gesamte Hofgesellschaft zog sich aus
Baden zurück. Nur Einer blieb — natürlich Varnhagen. Der konnte
sich's nicht versagen, sein politisches Licht auch vor dem bayrischen Könige,
bei dem er gar nicht beglaubigt war, leuchten zu lassen; er drängte sich
an Max Joseph heran und gab ihm, abermals eigenmächtig, so taktlose
und unrichtige Erklärungen über die Absichten des preußischen Hofes, daß
ein großer diplomatischer Streit entstand; ein scharfer Verweis aus Berlin
brachte die böse Zunge endlich zur Ruhe.)
Mittlerweile hatte der Großherzog am Abend seines traurigen Lebens
noch einen persönlichen Freund gefunden, den kecken russischen Reiterführer
aus dem Befreiungskriege, General Tettenborn, ein badisches Landeskind.
Der lebenslustige Landsknecht wurde der tägliche Begleiter des Kranken
und verwendete seinen Einfluß zum Heile des Landes; durchaus kein Freund
der Liberalen besaß er doch den sicheren Soldatenblick für das Notwendige.
Ihm und dem treuen Reizenstein war es zu verdanken, daß der Fürst den
Nebeniusschen Entwurf ernstlich prüfte und ihn schließlich, bis auf einen
einzigen Paragraphen, gänzlich unverändert annahm."“*) Noch in den
letzten Wochen fehlte es nicht an peinlichen Zwischenfällen. Das neue
Wahlgesetz mußte der geplagte Nebenius zweimal ausarbeiten, weil der
Großherzog das Aktenstück verschlossen hatte und sich nicht entschließen
konnte die Kiste öffnen zu lassen.
Genug, am 22. August 1818 wurde die Verfassung unterzeichnet, und
die Wirkung dieses Entschlusses war hier fast noch stärker als kurz zuvor
in Bayern. Die Unzufriedenen in den neuen Landesteilen verstummten
augenblicklich; an das Krankenlager des sterbenden Fürsten drangen noch
die Freudenrufe eines dankbaren Völkchens, das sich von der neuen Frei-
heit ein unbestimmtes, wunderbares Glück versprach. Die untrügliche
Richterin aber, die öffentliche Meinung Deutschlands, das will sagen die
liberale Presse, gab ihren Wahrspruch über den beendeten Wettkampf dahin
ab: Bayern habe sich zwar flinker gezeigt in der Erfüllung der Volks-
wünsche, doch der Preis gebühre dem freisinnigen Baden. Allerdings trug
das badische Grundgesetz, dem Charakter des Landes gemäß, einen modernen
*) Weisungen an Varnhagen, 22. Juli, 22. August 1818.
**) F. v. Weech, Geschichte der badischen Verfassung. S. p3f.