Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Zar Alexander als Führer des Liberalismus. 373 
endet, den Nebenbuhler in dem großen Wettlaufe um eine Kopflänge über— 
holt! Angstlichen Gemütern klang der dröhnende Beifallsruf der libe— 
ralen Welt schon wie das Grabgeläute des Hauses Zähringen. Max 
Joseph aber hielt es nicht für unköniglich, eben jetzt zur Kur nach Baden— 
Baden zu reisen, wo er dann nach seiner lustigen Art gegen jedermann 
äußerte: wie schön, daß Bayern mit seiner Verfassung früher fertig ge— 
worden! Großherzog Karl verließ, als ihm der freundnachbarliche Besuch 
angekündigt wurde, sofort sein Schloß in Baden und ging in das stille 
Schwarzwaldbad Griesbach; auch die gesamte Hofgesellschaft zog sich aus 
Baden zurück. Nur Einer blieb — natürlich Varnhagen. Der konnte 
sich's nicht versagen, sein politisches Licht auch vor dem bayrischen Könige, 
bei dem er gar nicht beglaubigt war, leuchten zu lassen; er drängte sich 
an Max Joseph heran und gab ihm, abermals eigenmächtig, so taktlose 
und unrichtige Erklärungen über die Absichten des preußischen Hofes, daß 
ein großer diplomatischer Streit entstand; ein scharfer Verweis aus Berlin 
brachte die böse Zunge endlich zur Ruhe.) 
Mittlerweile hatte der Großherzog am Abend seines traurigen Lebens 
noch einen persönlichen Freund gefunden, den kecken russischen Reiterführer 
aus dem Befreiungskriege, General Tettenborn, ein badisches Landeskind. 
Der lebenslustige Landsknecht wurde der tägliche Begleiter des Kranken 
und verwendete seinen Einfluß zum Heile des Landes; durchaus kein Freund 
der Liberalen besaß er doch den sicheren Soldatenblick für das Notwendige. 
Ihm und dem treuen Reizenstein war es zu verdanken, daß der Fürst den 
Nebeniusschen Entwurf ernstlich prüfte und ihn schließlich, bis auf einen 
einzigen Paragraphen, gänzlich unverändert annahm."“*) Noch in den 
letzten Wochen fehlte es nicht an peinlichen Zwischenfällen. Das neue 
Wahlgesetz mußte der geplagte Nebenius zweimal ausarbeiten, weil der 
Großherzog das Aktenstück verschlossen hatte und sich nicht entschließen 
konnte die Kiste öffnen zu lassen. 
Genug, am 22. August 1818 wurde die Verfassung unterzeichnet, und 
die Wirkung dieses Entschlusses war hier fast noch stärker als kurz zuvor 
in Bayern. Die Unzufriedenen in den neuen Landesteilen verstummten 
augenblicklich; an das Krankenlager des sterbenden Fürsten drangen noch 
die Freudenrufe eines dankbaren Völkchens, das sich von der neuen Frei- 
heit ein unbestimmtes, wunderbares Glück versprach. Die untrügliche 
Richterin aber, die öffentliche Meinung Deutschlands, das will sagen die 
liberale Presse, gab ihren Wahrspruch über den beendeten Wettkampf dahin 
ab: Bayern habe sich zwar flinker gezeigt in der Erfüllung der Volks- 
wünsche, doch der Preis gebühre dem freisinnigen Baden. Allerdings trug 
das badische Grundgesetz, dem Charakter des Landes gemäß, einen modernen 
  
*) Weisungen an Varnhagen, 22. Juli, 22. August 1818. 
**) F. v. Weech, Geschichte der badischen Verfassung. S. p3f.
	        
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