Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Rheinhessen. 381 
Code Napoleon als das Bollwerk rheinhessischer Freiheit. Der neue Landes- 
herr verbürgte der Provinz in der Tat den ungestörten Genuß ihrer 
französischen Institutionen, aber die Mainzer wußten wohl, wie unwillig 
das althessische Beamtentum diese Zusage aufnahm, und witterten hinter 
jedem Erlaß des Ministeriums einen Angriff auf ihre Landesfreiheit. 
Die widerwärtigen Händel zwischen den Truppen der Bundesgarnison 
konnten das Ansehen der deutschen Herrschaft nicht verstärken; der Bundes- 
tag vollends ward schon darum verspottet, weil er in Frankfurt tagte und 
jedes Mainzer Kind den Haß gegen die Nachbarstadt mit der Muttermilch 
einsog. Von den Segnungen des Friedens bekam das hessische Rheinland 
auch nur wenig zu spüren. Vor Zeiten, so lange die Talfahrt über- 
wog, hatte Mainz den vornehmsten Platz unter den Rheinstädten behauptet. 
Seit der Kolonialhandel emporwuchs und die Bergfahrt in den Vorder- 
grund trat, mußte der Schwerpunkt des rheinischen Verkehrs notwendig 
der Mündung näher rücken. Die unfreie Gesetzgebung der kurfürstlichen 
und der napoleonischen Tage griff noch eine Zeitlang hemmend ein, ließ 
die holländischen Häfen auf Kosten Kölns gedeihen; erst unter dem Schutze 
der preußischen Gesetze trat die Natur der Dinge in ihr Recht, und Köln 
wurde der erste Handelsplatz am Rheine. Die Mainzer aber schrieben 
dies natürliche Wachstum ihrer alten Nebenbuhlerin zumeist den Unter- 
lassungssünden der Darmstädter Regierung zu. 
Der französische Partikularismus der Rheinländer wurde für Hessen 
ungleich gefährlicher als für Preußen oder Bayern, da Rheinhessen fast 
ein Drittel der Bevölkerung des Großherzogtums umfaßte und in seiner 
wirtschaftlichen Entwicklung den rechtsrheinischen Landesteilen weit voran- 
stand. In solcher Bedrängnis wußte sich Großherzog Ludwig J. vorerst 
nur durch ein scharfes bureaukratisches Regiment zu helfen, eine Politik, 
welche ohnehin seinen Neigungen und Gewohnheiten entsprach. Er war 
der Neugründer dieses Staates, blieb seit 1790 vierzig Jahre lang am 
Ruder und wurde von untertänigen Darmstädtern gern mit Karl Friedrich 
von Baden verglichen. An den Geist und die Hochherzigkeit des Zähringers 
reichte er freilich nicht heran, aber seinen ehrlichen Willen bewährte er 
schon bei Antritt seiner Regierung, als er dem mißhandelten K. F. von Moser 
die gebührende Genugtuung gab. Dem Imperator gegenüber zeigte er 
sich nicht knechtischer als die Mehrzahl der Rheinbundsfürsten; größeren 
Eifer für die französische Sache betätigte Prinz Emil, der sich die be- 
sondere Gnade Napoleons erwarb und nach dem Frieden noch lange die 
bonapartistische Gesinnung in der tüchtigen kleinen Armee wach hielt. Dem 
Lande brachten die schweren Zeiten des Rheinbunds ein napoleonisches 
Präfektensystem, die Vernichtung aller Gemeindefreiheit und die unver- 
meidliche Aufhebung der alten ständischen Verfassungen, aber auch manche 
heilsame Reformen, so die Beseitigung der Leibeigenschaft und die Anfänge 
jener verständigen agrarischen Gesetzgebung, welche fortan der Stolz des
	        
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