Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Jahn als Politiker. 391 
durch das Zeugnis anderer gewonnene Erkenntnis bezeichnet, jetzt erhielt 
er einen neuen pathetischen Sinn, der ihm bis heute geblieben ist. Uber— 
zeugung war die Stimme des Gewissens, das wahre, Ich des Deutschen, 
Überzeugungstreue die höchste aller Tugenden, seine Überzeugung ändern 
hieß sich selber und die Deutschheit verraten. Im Hochgenusse der ge- 
meinsamen Überzeugung fühlte sich das junge Volk der Zukunft sicher, 
und der Gießener Sartorius, genannt der Bauer, sang in seinem „Turn- 
leben“: 
lber jede Schicksalsbeugung 
Schwingt uns unsre Überzeugung. 
Diese macht uns alle gleich, 
Stiftet unser neues Reich. 
Worin diese heilige Überzeugung eigentlich bestehe? — das wußte 
freilich von den jungen Schwärmern niemand zu sagen. Am wenigsten 
vielleicht der Turnvater selber. Nichts lächerlicher als der Vorwurf ge- 
heimer Verschwörungskünste gegen ihn, der sich nur wohl fühlte wo ge- 
schrien und gepoltert ward. Jahns Königstreue stand außer jedem Zweifel; 
wie oft hat er noch in späteren Jahren seine jungen Freunde belehrt, daß 
alles Heil Deutschlands nur von Preußen kommen könne. Sein Traum 
blieb die Einheit des Vaterlandes. Er fühlte, und sprach es oft in kräftigen 
Worten aus, daß ein Koalitionskrieg mit verkümmertem Erfolge nicht ge- 
nügte um den schlummernden Nationalstolz zu wecken: „Deutschland 
braucht einen Krieg auf eigene Faust um sich in ganzer Fülle seiner 
Volkstümlichkeit zu entfalten.“ In seinen Runenblättern (1814) schil- 
derte er, noch nachdrücklicher aber auch noch wunderlicher als einst in 
seinem Deutschen Volkstum, wie die Seele des Volkes in der Kleinstaaterei 
verkümmert: „Das Vaterland muß Hochgefühle wecken, Hochgedanken er- 
zeugen, ein Heiligtum sein und Heldentum werden. Erbärmlichkeit ist 
das Grab alles Großen und Guten. Rhein und Rinnstein, Berlin und 
Berlinchen, Wien und Winzig, Leipzig und Lausig.“ Er hoffte wie Fichte 
auf einen Zwingherrn zur Deutschheit: „den Waltschöpfer und Einheits- 
schaffer verehrt jedes Volk als Heiland und hat Vergebung für alle seine 
Sünden.“ Doch über die Formen und die Mittel der deutschen Einheit 
hatte er niemals irgend nachgedacht; ihm galt es gleich, ob das Kaiser- 
tum einem Hause erblich übertragen würde oder zwischen den deutschen 
Fürsten reihum ginge „wie die Braugerechtigkeit in manchen Städten“. 
Vor der Masse seiner Turner sprach er selten über Politik, und 
manche strengkonservative junge Männer, wie die Gebrüder Ranke nahmen 
an den Ubungen teil ohne irgend ein Argernis zu bemerken. Um so 
schwerer versündigte sich Jahn durch unnütze Reden im Kreise seiner ver- 
trauten Genossen: da schimpfte er unbändig auf Menschen und Dinge, 
welche weit über seinen Gesichtskreis hinausragten, da prunkte er mit 
nahenden Kämpfen gegen unbekannte Feinde. Was sollte sich der junge
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.