Jahn als Politiker. 391
durch das Zeugnis anderer gewonnene Erkenntnis bezeichnet, jetzt erhielt
er einen neuen pathetischen Sinn, der ihm bis heute geblieben ist. Uber—
zeugung war die Stimme des Gewissens, das wahre, Ich des Deutschen,
Überzeugungstreue die höchste aller Tugenden, seine Überzeugung ändern
hieß sich selber und die Deutschheit verraten. Im Hochgenusse der ge-
meinsamen Überzeugung fühlte sich das junge Volk der Zukunft sicher,
und der Gießener Sartorius, genannt der Bauer, sang in seinem „Turn-
leben“:
lber jede Schicksalsbeugung
Schwingt uns unsre Überzeugung.
Diese macht uns alle gleich,
Stiftet unser neues Reich.
Worin diese heilige Überzeugung eigentlich bestehe? — das wußte
freilich von den jungen Schwärmern niemand zu sagen. Am wenigsten
vielleicht der Turnvater selber. Nichts lächerlicher als der Vorwurf ge-
heimer Verschwörungskünste gegen ihn, der sich nur wohl fühlte wo ge-
schrien und gepoltert ward. Jahns Königstreue stand außer jedem Zweifel;
wie oft hat er noch in späteren Jahren seine jungen Freunde belehrt, daß
alles Heil Deutschlands nur von Preußen kommen könne. Sein Traum
blieb die Einheit des Vaterlandes. Er fühlte, und sprach es oft in kräftigen
Worten aus, daß ein Koalitionskrieg mit verkümmertem Erfolge nicht ge-
nügte um den schlummernden Nationalstolz zu wecken: „Deutschland
braucht einen Krieg auf eigene Faust um sich in ganzer Fülle seiner
Volkstümlichkeit zu entfalten.“ In seinen Runenblättern (1814) schil-
derte er, noch nachdrücklicher aber auch noch wunderlicher als einst in
seinem Deutschen Volkstum, wie die Seele des Volkes in der Kleinstaaterei
verkümmert: „Das Vaterland muß Hochgefühle wecken, Hochgedanken er-
zeugen, ein Heiligtum sein und Heldentum werden. Erbärmlichkeit ist
das Grab alles Großen und Guten. Rhein und Rinnstein, Berlin und
Berlinchen, Wien und Winzig, Leipzig und Lausig.“ Er hoffte wie Fichte
auf einen Zwingherrn zur Deutschheit: „den Waltschöpfer und Einheits-
schaffer verehrt jedes Volk als Heiland und hat Vergebung für alle seine
Sünden.“ Doch über die Formen und die Mittel der deutschen Einheit
hatte er niemals irgend nachgedacht; ihm galt es gleich, ob das Kaiser-
tum einem Hause erblich übertragen würde oder zwischen den deutschen
Fürsten reihum ginge „wie die Braugerechtigkeit in manchen Städten“.
Vor der Masse seiner Turner sprach er selten über Politik, und
manche strengkonservative junge Männer, wie die Gebrüder Ranke nahmen
an den Ubungen teil ohne irgend ein Argernis zu bemerken. Um so
schwerer versündigte sich Jahn durch unnütze Reden im Kreise seiner ver-
trauten Genossen: da schimpfte er unbändig auf Menschen und Dinge,
welche weit über seinen Gesichtskreis hinausragten, da prunkte er mit
nahenden Kämpfen gegen unbekannte Feinde. Was sollte sich der junge