Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Thüringische Gemütlichkeit. 401 
Henningslebener Loche stecken zu bleiben oder umzuwerfen, also daß das 
Zollgeschäft mit Sicherheit und Gemütsruhe besorgt werden konnte. Auf 
der Leipzig-Frankfurter Straße erhob der weimarische Geleitsreiter uner— 
bittlich das Geleitsgeld, obgleich die Fuhrleute seit unvordenklicher Zeit 
nicht mehr von geharnischten Reisigen begleitet wurden. Die mit grund— 
herrlichen Gefällen stark belasteten Bauern führten ihre Wirtschaft noch 
ganz nach der Urväter Weise; nur des heiligen Reiches Gärtner, die Er— 
furter, behaupteten den alten Ruhm ihrer kunstvollen Blumenzucht. 
Überall trieb der Gemeindehirt noch das gesamte Vieh des Dorfes, 
Pferde, Rinder, Ziegen und Gänse bunt durcheinander, auf die unver- 
teilte Gemeinheit. Der Gewerbfleiß arbeitete ausschließlich für den be- 
scheidenen Bedarf der nachbarlichen Kundschaft; fast allein die Strümpfe 
von Apolda und die Sonneberger Waren, die niedlichen Spielsachen der 
Hausindustrie der Walddörfer, gelangten in den großen Weltverkehr. In 
harmloser Fröhlichkeit, liederlustig wie die Singvögel, die in keinem Hause 
droben auf dem Walde fehlen durften, unendlich genügsam trieben die 
kleinen Leute ihr bescheidenes Tagewerk, zufrieden wenn sie sich dann und 
wann auf dem Tanzboden bei dünnem Bier oder sauerem Naumburger 
Weine erholen konnten. Der gutmütige Rationalismus, der in den ge- 
bildeten Ständen vorherrschte und an dem Gothaer Superintendenten 
Bretschneider einen gewandten Wortführer fand, störte das Volk wenig in 
seinen naiven religiösen Gefühlen; Bonifazius, der Apostel Thüringens 
war noch unvergessen, das Bild Luthers mit dem Schwane hing in un- 
zähligen Kirchen, einzelne abgelegene Gemeinden auf dem Walde hatten 
sich auch noch die feierliche alte lutherische Liturgie mit ihren Chorknaben 
und weißen Priestergewändern bewahrt. 
Von seinen Fürsten verlangte das Volk vor allem Leutseligkeit. Wie 
fühlte man sich geehrt, als der Meininger Herzog bei der Taufe seines 
Erbprinzen sein ganzes Land zu Gevatter bat und dem Kleinen die ver- 
heißungsvollen Namen Bernhard Erich Freund beilegte; als aus diesem 
Prinzen ein sehr wackerer kleiner Landesherr geworden war, da pflegte er 
am Geburtstage seiner Gemahlin in den anmutigen Gärten des Alten- 
steins ein Volksfest zu veranstalten, wobei jeder Mann die Herzogin um 
einen Tanz bitten durfte. Dafür ertrug man auch in Demut die 
Narrenstreiche der Kleinstaaterei. Im Jahre 1822 starb der letzte regie- 
rungsfähige Sproß des Hauses Gotha-Altenburg und die Stammesvettern 
rüsteten sich schon auf die neue Teilung. Da holte der Minister Lindenau 
plötzlich den unzweifelhaft blödsinnigen Prinzen Friedrich herbei und ließ 
ihm als Herzog huldigen, obgleich es schwer fiel den armen Kranken wäh- 
rend der feierlichen Handlung ruhig auf dem Throne festzuhalten. So 
wurde dem Reiche Gotha-Altenburg sein Dasein noch um vier Jahre ver- 
längert; die Gothaer aber freuten sich ihres blödsinnigen Landesvaters 
und mehr noch des Argers der enttäuschten Nachbarhöfe. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 26
	        
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