Die Weimarische Verfassung. 405
Kopfe ferner als die Selbstüberhebung der Kleinstaaterei. Selbst die Hul-
digungen der ersten Dichter der Epoche hatten einst seinen ruhigen Stolz
nicht zur Eitelkeit verführt; wie sollte er jetzt sich verführen lassen von den
überschwänglichen Lobsprüchen der liberalen Zeitungen, welche sein Weimar
als die Wiege deutscher Kunst und Freiheit zugleich feierten? Schlicht und
recht, aus Pflichtgefühl und ehrlichem Vertrauen gewährte er seinem Völk-
chen was er für unvermeidlich hielt.
In sein Staatsministerium hatte er eine ganze Reihe tüchtiger Männer
berufen, fast zu viel Talente für den kleinen Staat. Da saß neben
Goethes Stuhl, der schon seit Jahren leer blieb, des Dichters Freund,
der alte Voigt, ein edler, fein gebildeter Mann, der gleich seinem Freunde
die Fremdherrschaft lange als eine unentrinnbare Notwendigkeit betrachtet
hatte, jetzt aber, glücklicher als jener, sich hoffnungsvoll der neuen Frei-
heit freute; dann Fritsch, schon der Dritte aus der langen Reihe treff-
licher Geschäftsmänner, welche diese Leipziger Juristenfamilie in den Dienst
der sächsischen Häuser stellte, auch er ein Stück Poet, wohl angesehen in
der literarischen Welt; dann der neuberufene geistreiche Deutsch-Russe
Graf Edling; endlich der beste politische Kopf unter allen, der Lausitzer
Gersdorff, der schon auf dem Wiener Kongresse immer an Humboldts
Seite gestanden, damals schon die Idee der preußischen Hegemonie ver-
fochten hatte und dann während einer langen politischen Laufbahn keinen
Augenblick irre ward an dem Glauben, daß „Preußen die deutsche Na-
tionalität wiedergeboren habe und der Grundstein sei zu einem künftigen
Deutschland“. Auf Gersdorffs Rat entschloß sich der Großherzog die
Verfassungsarbeit in Angriff zu nehmen.
Im April 1816 traten die alten Stände mit einigen Abgeordneten der
neu erworbenen Landesteile zu einem Landtage zusammen; schon am
5. Mai wurde das neue, von dem Jenenser Professor Schweitzer redigierte
Grundgesetz unterzeichnet, und der Präsident des Landtags feierte in herz-
licher Dankrede die beste Tugend des deutschen Kleinfürstenstandes: „noch
immer fanden wir in diesem hohen Hause das altfürstliche Gemüt, das Jedem
wohl will, auch den Geringsten nicht unwert achtet.“ Die liberale Presse
frohlockte und erging sich in behaglichem Selbstlobe: wenn der fürstliche
Freund Schillers und Goethes als der Bahnbrecher verfassungsmäßiger Frei-
heit auftrat, dann war doch sonnenklar erwiesen, daß nur rohe Naturen der
konstitutionellen Heilswahrheit widerstreben konnten. Ein Jahr nachher tagte
der erste konstitutionelle Landtag der deutschen Geschichte in einem der drei
Dornburger Schlösser, die von steiler Felswand über Rebenhänge und Gar-
tenterrassen auf das malerische Saaletal herabschauen. Hier in der länd-
lichen Stille, wo Goethe so oft das Glück der Dichtereinsamkeit gesucht hatte,
spielte sich die erste parlamentarische Idylle der Kleinstaaterei gemütlich ab.
Der Großherzog hatte mit glücklichem Takt zwischen dem alten Stände-
wesen und dem neuen Repräsentativsystem einen Mittelweg eingeschlagen