Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

406 II. 7. Die Burschenschaft. 
und der Ritterschaft, den Städten, den Landgemeinden besondere Vertreter 
gewährt, aber die sämtlichen 31 Abgeordneten bildeten eine einzige Ver— 
sammlung und galten als Vertreter des ganzen Landes. Die Verhand— 
lungen verliefen keineswegs leicht, Schritt für Schritt mußte die Regie— 
rung mit der Topfguckerei und der naiven Unerfahrenheit der Volksver— 
treter ringen; endlich verständigte man sich doch, und da alles hinter 
verschlossenen Türen vorging, so konnten die Zeitungen ihren Lesern un— 
gescheut Wunder erzählen von der unbegreiflichen politischen Weisheit dieses 
Mustervölkchens, das unter je 1500 erwachsenen Männern einen staats— 
männisch gebildeten Abgeordneten besaß. Manche glückliche Reform, die ohne 
den Landtag unmöglich gewesen, kam jetzt zustande; so wurde (1821) 
an der Stelle von 49 wunderlichen alten Steuern eine Einkommensteuer 
mit Fassion eingeführt, eine in Deutschland noch unerhörte Neuerung. 
Mancher andere heilsame Vorschlag scheiterte freilich, weil die philisterhafte 
Angstlichkeit der Landstände den freien Gedanken ihres Fürsten nicht zu 
folgen vermochte; die Offentlichkeit der Landtagsverhandlungen konnte 
Karl August schlechterdings nicht durchsetzen. Im Ganzen fühlte sich das 
Land wohl, und schon 1818 erhielt auch Hildburghausen eine Verfassung 
nach weimarischem Muster. 
Nur Goethe betrachtete die neuen Institutionen mit stillem Mißbe- 
hagen und sah darin nichts als das vorwitzige Dreinreden Unberufener; der 
Abscheu gegen jeglichen Dilettantismus lag dem Meister zu tief im Blute. 
Als er einmal einen Trinkspruch zum Landtagsfeste nicht umgehen konnte, 
erinnerte er die Volksvertreter patriarchalisch an ihre Familienpflichten: 
Ein Jeder sei in seinem Hause Vater, 
So wird der Fürst auch Landesvater sein. 
Und als sie gar ihm selber Rechenschaft abverlangten wegen der 11,000 
Taler, die er seit einem Menschenalter alljährlich für Kunst und Wissen- 
schaft auszugeben hatte, da beschloß der alte Herr ein Exempel zu statuieren, 
diktierte seinem Schreiber drei Worte und drei Zahlen — Einnahme, Aus- 
gabe, Kassenbestand — setzte majestätisch seinen Namen darunter und 
sendete den Zettel dem Landtage. Die Entrüstung war groß. Bei ruhiger 
Uberlegung kam es den wackeren Vertretern von Neustadt, Kaltennord- 
heim, Gerstungen doch selbst sonderbar vor, daß sie die Antiken= und 
Bücher-Einkäufe Goethes im einzelnen prüfen sollten, und so entschlossen 
sie sich zu einer Tat konstitutioneller Selbstverleugnung, welche in der 
pedantischen Geschichte des deutschen Parlamentarismus einzig dasteht: der 
Buchstabe der Verfassung ward der Pietät geopfert, die dreizeilige Rechnung 
stillschweigend genehmigt. — 
Im Schatten der neuen Preßfreiheit wuchs nun in Weimar und 
Jena urplötzlich ein ganzes Heer politischer Zeitschriften auf, eine schlecht- 
hin bodenlose Publizistik, wie sie nur in diesem gelehrten Volke entstehen 
konnte, und doch eine Macht, denn mit ihr begann der verhängnisvolle
	        
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