420 II. 7. Die Burschenschaft.
haften Schriftstellern zeigte Kotzebue den Juden das meiste Wohlwollen,
der Todfeind der jungen Teutonen fühlte sich durch eine innere Wahl—
verwandtschaft zu Saul Ascher hingezogen; doch auch er meinte, erst müßte
die Kultur der Juden „durch eine Art von Bekehrung“ gründlich umge—
staltet werden bevor sie die Gleichberechtigung erlangen könnten. Die
sofortige Emanzipation forderten nur einzelne wenig bekannte christliche
Publizisten, so Lips in Erlangen, der die deutsche Nation durch die Bei—
mischung jüdischen Blutes beweglicher machen wollte.
Der Haß wider die Juden war so stark und allgemein, daß die öffent—
liche Meinung selbst in einem Falle, wo ihnen offenbare Unbill wider—
fuhr, fast einstimmig gegen sie Partei nahm: in dem häßlichen Frank—
furter Judenstreite. Wie schwer hatten sich doch die verbündeten Mächte
an unserer alten Kaiserstadt versündigt, als sie ihr den leeren Titel
einer unhaltbaren Souveränität verliehen. Frankfurt war zur Zeit des
Reichs, trotz seines reichsstädtischen Namens, immer die Stadt des Kaisers
gewesen, den Befehlen des Monarchen unmittelbar unterworfen, und zeich-
nete sich vor allen andern deutschen Städten durch den lebendigen Ge-
meinsinn eines reichen, tätigen, gebildeten Bürgertums rühmlich aus;
eben jetzt, nach den Kriegen, wurden das Senckenbergische Institut und das
Städelsche Museum eröffnet, eine Menge gemeinnütziger Vereine begann
eine großartige Tätigkeit. Die schöne Stadt konnte unter der Hoheit
einer kräftigen Staatsgewalt das Musterbild einer deutschen Kommune
werden. Nun aber erhielt sie mitsamt den achtehalb Ortschaften ihres
Gebiets die volle Unabhängigkeit eines souveränen Staats, nur für Ver-
fassungsstreitigkeiten war dem Deutschen Bunde ein Schiedsrichteramt vor-
behalten, das hinter den monarchischen Herrschaftsrechten der alten Kaiser
weit zurückblieb, nun drang mit der Gesandtenschar des Bundestags ein
höfisches Element ein, das den ehrenfesten bürgerlichen Geist verfälschte,
viele der alten Patriziergeschlechter und die gesamte Börsenwelt in das
Ränkespiel der Diplomatie verwickelte.
Aus so unnatürlichen Verhältuissen erwuchs ein krankhafter Dünkel.
Die Bürgerschaft betrachtete „die Vaterstadt“ als die Hauptstadt Deutsch-
lands und mißbrauchte ihre neugewonnene Souveränität mit der ganzen Un-
befangenheit jener sozialen Selbstsucht, welche in den Gemeinden fast immer
das große Wort führt, wenn sie nicht durch die Gerechtigkeit einer monar-
chischen Staatsgewalt gebändigt wird. Die neue Verfassung von 1816
sicherte den eingesessenen Bürger sorgsam vor dem Wettbewerb der Aus-
heimischen; nur wer 5000 Gulden einbrachte oder eine Frankfurterin
heiratete, sollte das Bürgerrecht erlangen. Derselbe Sinn pfahlbürger-
licher Engherzigkeit verschuldete auch, daß die Juden des Bürgerrechts, das
sie sich von Dalberg erkauft hatten, wieder beraubt wurden. Mit unge-
heurem Geschrei setzten sie sich sofort zur Wehre, der junge Ludwig Börne
trat mit seiner scharfen Feder für die bedrängten Stammgenossen ein.