Der Frankfurter Judenstreit. 421
Die Rechtsfrage lag allerdings so einfach nicht, wie Börne mit rabuli—
stischer Keckheit behauptete. Die 440,000 Gulden, welche die israelitische
Gemeinde dem Großherzog von Frankfurt gezahlt, konnten nach strengem
Rechte nur als die Ablösung des alten Judenschosses von 22,000 Gulden
jährlich, nicht als ein Kaufgeld für das Bürgerrecht, betrachtet werden,
und da die Bundesakte den Juden nur die ihnen von den deutschen
Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte gewährleistete, so war recht—
lich gegen das Vorgehen der Frankfurter Bürgerschaft wenig einzuwenden.
Die Klage der israelitischen Gemeinde wurde daher von dem Spruchkol—
legium der Berliner Fakultät als unbegründet abgewiesen.
Als die Juden sich nunmehr mit einer Beschwerde an den Bundes—
tag wandten, da trat die politische Macht des Hauses Rothschild zum ersten
Male aus dem Dunkel heraus, und es geschah das Unerhörte: der Bundes-
tag zeigte sich liberaler als die öffentliche Meinung. Hardenberg ließ, ge-
mäß den alten Traditionen preußischer Duldsamkeit, von vornherein er-
klären, daß den Frankfurter Juden mindestens ein beschränktes Bürgerrecht
gebühre, und zum Erstaunen der Unkundigen schloß sich Osterreich dieser
Meinung an, weil die Hofburg der Rothschildschen Gelder nicht entraten
konnte. Als Metternich und Gentz im Jahre 1818 nach Frankfurt kamen,
boten sie, wie schon früher auf dem Wiener Kongresse, ihre ganze Bered-
samkeit für ihre reichen Schützlinge auf. Mit der üblichen Langsamkeit
ward nun weiter verhandelt, und im Jahre 1824 erhielten die Frank-
furter Juden durch Vermittlung des Bundestages einen Teil ihrer Rechte
wieder. Freilich nur einen Teil. Sie wurden als „israelitische Bürger“
anerkannt, blieben jedoch von den Gemeindeämtern ausgeschlossen und
standen nur im Privatrechte den christlichen Bürgern gleich, auch dies nicht
ohne einige kleinliche Beschränkungen: so durften sie keinen Fruchthandel
treiben, nur je ein Haus besitzen, nur fünfzehn Ehen jährlich schließen.
Die Presse aber hielt mit wenigen Ausnahmen hartnäckig die Partei des
Frankfurter Pfahlbürgertums, denn Dalbergs Gesetze standen als Werke
der Fremdherrschaft in schlechtem Rufe, und allgemein ward gefürchtet,
daß die Bundesstadt durch das Überwuchern orientalischer Betriebsamkeit
ihren deutschen Charakter verlieren würde. Luden schrieb kurzab: vox
populi vox Dei, die Stimme des Volkes ist den Juden nicht günstig.
In den Kreisen der akademischen Jugend ward diese Stimmung der
Zeit noch verschärft durch die Romantik christlicher Schwärmerei. Die
Burschen fühlten sich als eine neue christliche Ritterschaft und zeigten ihren
Judenhaß mit einer groben Unduldsamkeit, die oft stark an die Tage der
Kreuzzüge erinnerte. Von Haus aus stand die Absicht fest, alle Nicht-
Christen von dem neuen Jugendbunde aguszuschließen. Gelang dies, so
waren die jüdischen Studenten in Wahrheit ihres akademischen Bürger-
rechts beraubt, da die Burschenschaft ja der Gesamtheit der Studenten
ihr Gesetz auferlegen, alle anderen Verbindungen beseitigen wollte. —