450 II. 8. Der Aachener Kongreß.
kam Alexander diesen Anträgen entgegen; die Neigungen seines edlen
Herzens gingen wieder wie so oft schon mit den Interessen der russischen
Politik einträchtig Hand in Hand. Wenn der von Pozzo di Borgo völlig
beherrschte Tuilerienhof in den hohen Rat Europas eintrat, so gebot
der Zar in Wahrheit über zwei Stimmen und brauchte nur noch einen
der drei anderen Höfe zu gewinnen, dann war ihm die Mehrheit, die
Führerschaft im Weltteil gesichert. Eben deshalb erregten die Wünsche
Richelieus in Wien, in Berlin und London ernste Bedenken, Metternich
erklärte sie im ersten Schrecken für gänzlich unannehmbar.“) Die drei
Höfe sahen dem Kongresse mit lebhafter Besorgnis entgegen; sie wollten
mindestens Pozzo selbst von dem Kongresse fern halten und beschlossen
daher in der Pariser Gesandtenkonferenz, mit drei Stimmen gegen die
eine Rußlands, daß die vier Gesandten während der Aachener Bera—
tungen in Paris bleiben sollten. —
Da zeigte sich plötzlich in der Politik des Zaren eine auffällige, den
fremden Mächten vorerst noch rätselhafte Anderung. Noch ganz be—
rauscht von seinen völkerbeglückenden Ideen war der erlauchte Vorkämpfer
des christlichen Liberalismus soeben aus Polen zurückgekehrt; selbst die
Verhandlungen des Warschauer Reichstags, welche die unheilbare politische
Torheit des polnischen Adels sogleich wieder an den Tag brachten, hatten
Alexanders frohe Zuversicht nicht erschüttert. Daheim erwartete ihn eine
neue Freude: seine zärtlich geliebte Schwägerin, Großfürstin Charlotte, die
jetzt den Namen Alexandra Feodorowna führte, schenkte ihrem Gemahl im
April 1818 einen Sohn, den Thronerben des Hauses Gottorp, Alexander II.
Einige Wochen nachher brach König Friedrich Wilhelm auf um sein erstes
Enkelkind zu begrüßen. Er freute sich unterwegs an dem hellen Jubel
seiner treuen Ostpreußen, die ihren König seit den schweren Königsberger
Zeiten zum ersten Male wieder sahen, und ward in Rußland mit orien—
talischem Prunk empfangen. Fest folgte auf Fest, die beiden Hauptstädte
und die reichen Bojaren wetteiferten in Glanz und Pracht, in über—
schwenglichen Kundgebungen dynastischer Gesinnung. Und eben jetzt, mitten
im Rausche der Freuden erhielt der Zar durch unanfechtbare geheime
Mitteilung die Gewißheit, daß seine Gardeoffiziere während des Aufent—
halts in Frankreich nicht umsonst von den verbotenen Früchten der revo—
lutionären Lehren gekostet hatten, daß an seinem eigenen Hofe schon seit
1816 einige demagogische Geheimbünde bestanden, deren Anhang unauf-
haltsam wuchs. Es war der entscheidende Augenblick seiner letzten Lebens-
jahre. Also er selbst, der hochherzige Wohltäter der Völker, den sogar
die besiegten Franzosen als den Heiland des Weltteils feierten, sah sich
in seinem Hause von Rebellen und Verschwörern umgeben, er wurde von
derselben liberalen Partei, die ihn als ihren Beschützer hätte ehren sollen,
*) Krusemarks Bericht, 20. Juni 1818.