Hardenberg in Engers. 453
Nach dem unverkennbaren Umschwung der russischen Politik durfte
Metternich in der Tat hoffen, daß Osterreich binnen kurzem die Stelle
des Führers in dem europäischen Bunde erlangen würde. Auf die Freund-
schaft des Tory-Kabinetts konnte er sich fest verlassen, obschon Lord Cast-
lereagh auf die erstarkende Opposition der Whigs einige Rücksicht zu
nehmen hatte und darum wo möglich jeden förmlichen Vertrag, der im
Parlamente Anstoß geben konnte, zu vermeiden wünschte. Auch in Preußen
ließ sich die reaktionäre Strömung der Zeit schon in leisen Wellenschlägen
verspüren. Das Wartburgfest hatte den König tief und nachhaltig ver-
stimmt. Nicht ohne Bangen verließ Hardenberg den Hof um die ersten
Monate des Jahres 1818 auf Schloß Engers am Rhein zu verbringen und
die Stimmung der schwierigen Provinz selber zu erkunden. Seine schwerste
Sorge galt der Verfassungsarbeit. Er wußte, daß dies Unternehmen allen
anderen Großmächten ebenso unheimlich war wie das preußische Wehrgesetz.
Uber die Meinung des Wiener Hofes bestand kein Zweifel, obgleich
Metternich sich noch nicht offen ausgesprochen hatte. Aus Paris meldete
Goltz schon im April 1817 und dann immer aufs neue, wie dringend
Wellington und Richelieu ihn vor dem unsinnigen Wagnis einer preu-
hischen Verfassung gewarnt hätten; und was das Verdächtigste war, beide
Staatsmänner vertraten genau dieselbe Ansicht wie Ancillon und die reak-
tionäre Partei in Berlin; sie meinten, ein so buntgemischter Staat wie
Preußen müsse sich mit Provinzialständen begnügen. Auch Zar Alexander
tat selbst in den Tagen, da er der Welt das Programm des christlichen
Liberalismus verkündigte, durchaus nichts um die preußische Verfassung
zu fördern; man erfuhr nur, daß er sich schwer besorgt über die politische
Zuverlässigkeit der preußischen Landwehr äußerte.
Hardenberg fühlte, wie leicht ihm alle diese Gegner über den Kopf
wachsen konnten, und mahnte die Minister in Berlin wiederholt und nach-
drücklich zur Beschleunigung der Verfassungsarbeit.) Aber der Verfas-
sungsausschuß des Staatsrats konnte seine Beratungen nicht beginnen,
so lange ihm die Berichte der drei Minister, welche die Provinzen bereist
hatten, noch nicht vorlagen; und diese Berichte blieben aus, da Altenstein
und Klewitz mit der Einrichtung ihrer soeben erst neu gebildeten Depar-
tements über und über beschäftigt waren. Unterdessen wurden auch die
Gutachten der Provinzialregierungen über die Provinzialstände eingefordert;
Vincke aber fügte, als er die westfälischen Akten einsendete, die treffende
Bemerkung hinzu, diese Papiere enthielten viel unfruchtbares Gerede, da
man den Regierungen nur einige ganz allgemein gehaltene Fragen ge-
stellt habe. Der auf Klewitzs Rat eingeschlagene Weg erwies sich schon
jetzt als ein Irrweg. Nur wenn ein ausgearbeiteter Verfassungsplan be-
reits vorlag, konnten die Gutachten der Notabeln und der Behörden ein
*) Hardenberg an Klewitz, 8. Dez. 1817, 6. Jan. 1818.