Gentz. 463
über alles Maß hinaus hatte er dies Recht mißbraucht; die ungeheueren
Summen, die er mit unbeschämter Stirn von den großen Höfen, von
den Rothschilds, von den Hospodaren der Walachei bezog, genügten noch
immer nicht für die unsinnige Verschwendung des weibisch verwöhnten,
in allen erdenklichen Lüsten abgetriebenen und entnervten Mannes. Jahre—
lang hatte man in der Hofburg nur seine Feder benutzt ohne ihn in
alle Geheimnisse einzuweihen. Erst seit dem Wiener und dem zweiten
Pariser Kongresse erlangte er bei Metternich jene Vertrauensstellung,
deren er sich schon früher fälschlich zu rühmen pflegte; für Kaiser Franz
blieb er freilich bis zu seinem Tode nur der ausländische Plebejer. Die
Zeit des Aachener Kongresses nannte er selbst den Kulminationspunkt seines
Lebens; alle Höfe überschütteten ihn mit Auszeichnungen und Geschenken,
Freund und Feind erkannten ihn als den Publizisten des europäischen
Bundes an. Im Bewußtsein seiner umfassenden Sachkenntnis blickte
er mit ingrimmiger Verachtung auf das dilettierende politische Gerede
der Abgeordneten, Professoren und Zeitungsschreiber hernieder. Niemals
wollte er zugeben, daß sich aus den Ansichten so vieler Halbwisser schließlich
doch eine öffentliche Meinung herausbildet, die selbst in ihren Ver—
irrungen noch eine reale Macht bleibt und zuweilen ebenso unwider—
stehlich wirkt, wie das auch aus den Ansichten von Nichtkennern hervor—
gehende Urteil des Publikums im Schauspielhause. Wie fühlte er sich
glücklich, „daß es doch endlich wieder diplomatische Geheimnisse gab“, daß
die Kabinette beschlossen hatten, diesmal die Kongreßverhandlungen sorg-
fältiger als es in Wien geschehen vor den Blicken der Uneingeweihten
zu behüten. Durch Zwang und Strafen sollte der große Haufe der
Unberufenen die Lust verlieren sich in die Arbeit der politischen Zunft
einzumischen. Mit rechter Herzensfreude nahm Gentz jetzt jene preußische
Denkschrift über das Bundespreßgesetz, welche Jordan im vorigen Jahre
vergeblich nach Wien gebracht hatte, wieder vor und begann sie im öster-
reichischen Sinne umzugestalten; dem Meister der Feder war kein Mittel
hart genug, das die Zeitungen zum Schweigen bringen konnte.
Noch schrecklicher als die Lizenz der Presse schien ihm, so gesteht er
selbst, „das größte aller Übel, das Burschenunwesen.“ Jene rührende
Begeisterung für Deutschlands Einheit, welche selbst die Torheiten der
brausenden Jugend noch entschuldbar erscheinen ließ, war für die Oster-
reicher natürlich nur ein Grund mehr zur Verdammnis. Dazu der
Abscheu dieser verweichlichten und verzärtelten aristokratischen Welt gegen
die derben akademischen Sitten, von deren Roheit man sich in der Hof—
burg Wunderdinge erzählte: sogar Arndt war nach Metternichs Mei—
nung ein wüster Trunkenbold. Dazu endlich und vor allem die memmen—
hafte Furcht: selbst der Hahnenschrei und das Schnattern der Gänse,
selbst das Rollen des Donners und alle die andern Schrecknisse, mit
denen die grausame Natur die reizbaren Nerven des Wiener Hofpubli-