Frankreichs Eintritt in die Allianz. 469
Mächte Osterreich und England vor allem das Bestehende, den Vierbund
aufrechtzuhalten, etwa mit gelegentlicher Zuziehung Frankreichs; Metternich
wie Castlereagh konnten das Mißtrauen gegen Rußlands Ehrgeiz und die
Furcht vor jeder Neuerung nicht überwinden. Uberdies befürchtete Lord
Liverpool heftige Kämpfe mit den Whigs, falls seine Amtsgenossen einen
förmlichen Vertrag unterschrieben, und verbarg seine Angst hinter der
hochtrabenden Mahnung: „die Verbündeten mögen nicht vergessen, daß
die allgemeine und europäische Erörterung dieser Fragen im englischen
Parlamente stattfinden wird.“ Im Schoße seines eigenen Kabinetts erhob
sich bereits eine Stimme des Widerspruchs; das jüngste Mitglied des
Ministeriums, Georg Canning, vertrat schon die Ansicht, daß der Insel-
staat den Angelegenheiten des Festlandes, soweit sie nicht den englischen
Handel berührten, fern bleiben solle. Preußen stand zwischen beiden Par-
teien in der Mitte und bemühte sich um einen Ausgleich, dessen Be-
dingungen in der Tat nahe lagen. Der Vierbund bestand unzweifelhaft
noch zu Recht; ihn aufzuheben war jetzt nicht ratsam, da der Zustand
Frankreichs so wenig Vertrauen erweckte und in dem Königreich der Nieder-
lande bereits ein Kampf zwischen Nord und Süd entbrannt war, der den
Zerfall dieses künstlichen Staatsgebildes anzukündigen schien. Anderer-
seits ließ sich dem Tuilerienhofe, nachdem er alle Bedingungen des Frie-
dens erfüllt hatte, die Teilnahme an den Beratungen der europäischen
Mächte billigerweise nicht mehr versagen. Gab es kein Mittel, um beide
Zwecke zugleich zu erreichen, um Frankreich in das europäische Konzert
aufzunehmen und zugleich den Bund der Vier von Neuem zu befestigen?
Auf dies zweifache Ziel war Preußens Vermittlung gerichtet, und
schon nach wenigen Tagen hatten sich die beiden Parteien einander ge-
nähert. Am 14. Oktober schlug Kapodistrias in einer neuen Denkschrift
vor: es solle durch ein geheimes Protokoll der vier Mächte der Vierbund
abermals bestätigt und die Rüstung für den Fall des Krieges gegen
Frankreich im einzelnen verabredet werden; hierauf sei Frankreich zum
Anschluß an die Union der Mächte einzuladen und der vollzogene Beitritt
den übrigen Staaten Europas anzuzeigen als ein Beweis „der Einheit,
der brüderlichen und christlichen Freundschaft" der Monarchen.“) Damit
waren die Grundlagen für die Verständigung bereits gegeben. Indes ge-
rieten die Verhandlungen für einige Tage ins Stocken, weil der Zar und
der König auf Richelieus dringende Bitten einen Abstecher nach Paris
unternahmen; der greise Bourbone wünschte seiner Nation zu zeigen, daß
die Verbündeten ihn als einen völlig gleichberechtigten Bundesgenossen be-
trachteten. Unterwegs wurde bei Sedan eine Heerschau über das preußische
Besatzungskorps abgehalten, auf demselben Gefilde, das die schwarzen
*) Mémoire sur ’application des traités de 1815 aux eirconstances actuelles.
14. Okt. 1818.