504 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
einen Stand, der ohne Willen ist, so weiß ich nicht wo die verfassungs-
mäßige Freiheit bleibt.“ Auch die beliebte Theorie des Mißtrauens, die
Lehre von dem natürlichen Kriege zwischen Fürst und Volk wirkte mit
ein. In einer Flugschrift über den bayrischen Landtag rechtfertigte der
liberale Publizist von Spraun den Antrag Hornthals mit der freundlichen
Erwägung: sonst könnte ja der Hof jederzeit eine Bartholomäusnacht ver-
anstalten! Das Weimarische Oppositionsblatt erklärte drohend, das deutsche
Volk werde alle die gewissenlosen Abgeordneten, welche gegen den Antrag
stimmten, für den Tag der Abrechnung im Gedächtnis behalten. Um
einem möglichen Mißbrauch der monarchischen Gewalt vorzubeugen, wollte
man den König in aller Unschuld seiner Militärhoheit berauben, die
letzte Entscheidung der Verfassungsstreitigkeiten dem Gewissen der zumeist
minderjährigen gemeinen Soldaten überlassen. Selbst die Erfahrungen
des achtzehnten Brumaire hatten den deutschen Doktrinarismus noch
nicht darüber belehrt, daß ein Staatsstreich nur dann gelingt, wenn die
Nation ihn erträgt oder billigt.
Obwohl der Antrag nicht der revolutionären Gesinnung, sondern
nur der gedankenlosen Unerfahrenheit entsprang, so wirkte er doch sogleich
sehr schädlich. Einige aufgeregte junge Leutnants sprachen im Sinne des
Volkstribunen und wurden in der Stille bestraft. Die große Mehrzahl
der Offiziere fühlte sich in der monarchischen Gesinnung, welche jedes
tüchtige Heer belebt, tief verletzt und verfiel im Zorne auf ein gefähr-
liches Mittel. Man verbreitete in den Garnisonen eine Bittschrift, die
den König beschwor „ein dem Sinne der Konstitution so ganz entgegenes
Begehren“ abzuweisen; Generale, Hauptleute, Unteroffiziere unterschrieben
bunt durcheinander. Erschreckt durch solche Kundgebungen brach der
Landtag die Verhandlungen über den gefährlichen Antrag plötzlich ab.
König Friedrich Wilhelm aber betrachtete diese ersten Folgen des Reprä-
sentativsystems mit schwerer Besorgnis. Jener unruhige Landsknechtsgeist,
welchen die Abenteuer des Imperators in allen napoleonischen Heeren erweckt,
hatte die Franzosen und die Sachsen schon einmal zu offener Empörung
verführt; in Italien schürten die alten napoleonischen Offiziere überall
den Haß gegen Osterreichs Herrschaft, jeden Augenblick konnte dort eine
militärische Revolution ausbrechen; sollten jetzt auch die süddeutschen Heere
in die politischen Parteikämpfe hineingerissen werden? Der Wiener Hof
sah den bayrischen Staat bereits dicht am Abhange der Revolution da-
hintaumeln. Gentz schrieb eine donnernde Denkschrift über die bayrischen
Stände"). Er klagte den Monarchen an, daß er durch seine Thronrede
„ein vollständig abgerundetes System von königlicher Demokratie“ begründet
*) Bemerkungen über die ersten Vorgänge in der bayrischen Ständeversammlung.
Die Denkschrift wurde am 10. April 1819 nach Berlin gesendet, muß aber schon zu
Anfang März geschrieben sein, da sie die Verhandlungen des Landtags nur bis zum
15. Febr. verfolgt.