Das badische Adels-Edikt. 515
So kam am 16. April 1819 ein zweites den Vorschriften der Bundesakte
zur Not entsprechendes Adels-Edikt zustande, das den vier Mächten
vorgelegt*) und am Bundestage für gerade genügend erklärt wurde. Ber-
stett ließ das neue Edikt am Abend vor der Eröffnung des Landtags
veröffentlichen; er rechnete, die Stände würden sich in die unbequeme
Notwendigkeit ergeben und den Ausgleich als letztes Vermächtnis der
absoluten Monarchie stillschweigend genehmigen. Wie wenig kannte er
doch den Charakter seiner Abgeordneten! Hier erhob sich die köstliche
Frage: wer ist älter, die Henne oder das Ei? besitzt ein Landtag schon
Rechte bevor er noch existiert? Fragen solcher Art haben auf die kleinen
deutschen Landtage jederzeit eine dämonische Anziehungskraft ausgeübt
und ihnen den besten Stoff für ihre großen Juristenfeste geboten. So
auch diesmal. Alles zürnte über den frivolen Verfassungsbruch. Aus
dem Munde sehr gemäßigter Männer vernahm man Doktrinen, die, ganz
harmlos gemeint, doch an Rousseaus Contrat social stark anklangen: der
Großherzog, so hieß es, hat durch die Verkündigung der Verfassung dem
Volke einen ursprünglichen Vertrag angeboten, das Volk hat durch Vor-
nahme der Wahlen eingewilligt, und seitdem ist der Vertrag perfekt.
In der zweiten Kammer erhielt Ludwig Winter das Referat über das
Adels-Edikt, und nun spielte sich ein seltsamer Auftritt ab, wie er nur in
diesen ersten Kinderjahren des deutschen Parlamentarismus möglich war.
Winter war Abgeordneter für Durlach und zugleich Regierungskommissär,
er hatte als solcher soeben den Entwurf einer neuen Gemeindeordnung
vor den Kammern verteidigt, und dieser Kommissär der Regierung erhob
sich jetzt, um das Ministerium mit einer Heftigkeit anzugreifen, wie noch
kein Abgeordneter vor ihm. Der leidenschaftliche Mann handelte im
besten Glauben, er sah den Großherzog durch das Adels-Edikt unver-
äußerlicher Kronrechte beraubt und hielt sich als treuer Untertan ver-
pflichtet, der Krone gegen ihre eigenen Minister zu Hilfe zu eilen. Aber
er war Partei, er hatte das erste, nunmehr aufgegebene Adels-Edikt selber
verfaßt und verteidigte sein Werk mit allen Waffen des abstrakten Ver-
nunftrechts; für die Bundesakte, für die europäischen Verträge, auf denen
doch der Bestand des Großherzogtums Baden selber ruhte, hatte er kein
Auge: „wir haben“", rief er aus, „mit dem Bundestage nichts zu tun und
wollen auch nichts mit ihm zu tun haben; das ist Sache der Regierung."
Auf diese naturrechtlichen Argumente folgte dann eine willkürliche Aus-
legung der Bundesakte, die sich noch bitter bestrafen sollte. Winter be-
hauptete, der Art. 13 verspreche ausdrücklich das Repräsentativsystem, nicht
eine altständische Verfassung, er setze also die Rechtsgleichheit aller Bürger
voraus, und folglich seien die den Mediatisierten im Art. 14 gewährten
Privilegien unausführbar, rechtlich nichtig.
*) Ministerialschreiben an Blittersdorff, 30. April 1819.
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