Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

520 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
sein ihrer eigenen Kraft und Keuschheit sonnte und wider die geile Schlaff- 
heit des alten Geschlechtes eiferte; allen seinen Genossen blieb es unver- 
geßlich, mit welchem höhnischen Hochmut er die Verse zu singen pflegte: 
Du mußt dann unter seidenen Decken, unter Merkur und Latwergen 
verrecken! Der heidnische Dünkel, der rationalistische Stolz auf die un- 
befleckte Würde des freien sich selber behauptenden Ich vertrug sich aber 
in diesem armen Kopfe mit einer mystischen Schwärmerei, die verzückt zu 
Jesu Vorbild aufblickte und den Finger Gottes in jedem kleinen Tages- 
erlebnis zu erkennen wähnte: mit Gebet und frommen Betrachtungen 
bereitete er sich selbst auf die harmlosen studentischen Duellspiele vor, und 
oft lud er nach einem geringfügigen Wortwechsel seinen Gegner feierlich 
vor Gottes Gericht. 
Erfahrenen Menschenkennern hinterließ der verschlossene, im persön- 
lichen Verkehre freundliche und gutmütige Jüngling doch einen unheim- 
lichen Eindruck; als Wangenheim, sein alter Gönner von Tübingen her, 
eines Tages in Frankfurt erfuhr, Karl Sand habe ihn auf der Durch- 
reise besuchen wollen, da überkam ihn sofort die Ahnung, daß etwas 
Gräßliches im Werke sei, er warf sich aufs Pferd und eilte dem Wan- 
derer auf der Bergstraße nach ohne ihn zu finden. Sand hatte als bay- 
rischer Freiwilliger an dem Feldzuge von 1815 teilgenommen, aber den 
Feind nie zu Gesicht bekommen und voll Verachtung gegen die Soldaterei 
alsbald nach der Heimkehr den bunten Rock wieder ausgezogen. Um so 
eifriger stürzte er sich mit Leib und Seele in das Treiben der Burschen- 
schaft; die Verbindung war ihm Staat und Kirche, Haus und Liebe, 
eines und alles, die ganze Welt sah er zerteilt in zwei große Heerlager: 
hier die reinen, freien, keuschen Burschen, dort die feilen Schergen der 
Zwingherrschaft. In Tübingen, in Erlangen, endlich in Jena war er 
überall mit dabei, wo feurige Teutonen Rütli-Schwüre tauschten und von 
St. Georgen-Taten schwärmten, ein unbeholfener Redner, wenig ange- 
sehen bei den Genossen, nur als rüstiger Turner wohl gelitten; aber was 
der laute Schwarm gedankenlos herauspolterte, das erschütterte diese schwere 
Natur bis ins Mark, ihm war es kein leeres Wort, wenn die Burschen 
angen: 
sang Und in der Widerischen Herzen tauchen, 
Tut's not, das deutsche Schwert! 
Als er in Erlangen einen geliebten Freund dicht vor seinen Augen 
ertrinken sah und die Landsmannschaften sich weigerten dem Toten das 
letzte Geleite zu geben, da schwand der letzte Schimmer jugendlicher Heiter- 
keit aus seinem umnachteten Gemüte; er sah sich umringt von einer 
Welt von Feinden und kündete dieser verrotteten Welt in seinem Herzen 
offene Fehde an: „Ihr Fürsten Deutschlands, warum mußtet Ihr mich 
aus meinem Frieden aufstören?" Haß, glühender Haß wider die unbe- 
kannten Gegner der Burschenschaft und des einen unteilbaren deutschen
	        
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