Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Judenverfolgung. 529 
einem Male auch die Massen in Unruhe. Der alte Rassenhaß wider die 
Juden und der Groll über die schweren Wuchersünden der jüngsten Jahre 
brachen furchtbar aus; in Würzburg, in Karlsruhe, Heidelberg, Darm— 
stadt, Frankfurt rottete sich der Pöbel zusammen, stürmte einzelne jüdische 
Häuser, mißhandelte die Bewohner. Weithin durch die germanische Welt, 
bis nach Kopenhagen und Amsterdam hinauf pflanzte sich die Bewegung 
fort. Es schien, als ob der alte Volksaberglaube Recht behielte und der 
große Komet, der in diesem heißen Sommer leuchtend am Himmel stand, 
Unheil und Verwirrung über die Welt brächte. Da und dort haben sich 
wohl einzelne teutonische Burschen an dem Unfug beteiligt, und der 
Spottruf Hephep, der damals zuerst erklang, scheint in gelehrten Kreisen 
entstanden zu sein (er sollte bedeuten: Hierosolyma est perdita). Gleich- 
wohl ist ein Zusammenhang zwischen den christlich-germanischen Träumen 
der Burschenschaft und jenen wüsten Ausbrüchen einer lange verhaltenen 
Volksleidenschaft weder nachweisbar noch wahrscheinlich; die politischen 
Ideen der akademischen Jugend blieben den Massen unverständlich, in 
Heidelberg scharten sich sogar die Studenten unter Thibauts Führung 
zusammen, um die Juden mit Lebensgefahr gegen den wütenden Pöbel 
zu verteidigen. Die Regierungen aber, erschreckt wie sie waren, sahen 
in diesen Tumulten nur einen neuen Beweis für die geheime Wirksam- 
keit einer revolutionären Partei. In höchster Angst befahl Metternich dem 
Grafen Buol, nach Verabredung mit den zu Karlsbad versammelten 
Staatsmännern: nötigenfalls müsse der Bundestag selbst aus den be- 
nachbarten Garnisonen Truppen herbeirufen, da der Frankfurter Senat 
sich gegen die Unruhstifter allzu schwach zeige) — 
Wer die ansteckende Kraft des politischen Verbrechens kennt, wird 
nicht bestreiten, daß die Kronen, nach allem was geschehen, so berechtigt 
wie verpflichtet waren, durch eine strenge Untersuchung die letzten Gründe 
der beiden Gewalttaten zu erforschen und gegen einige Schriftsteller, 
welche den Meuchelmord offen verteidigten, scharf einzuschreiten. Da 
beide Mörder den Unbedingten angehörten, so war auch die Schließung 
der Burschenschaft mindestens für einige Zeit unvermeidlich. Aber nur 
ein mutiges, festes, ruhiges Auftreten der Regierungen konnte die halt- 
lose öffentliche Meinung wieder zur Besinnung bringen, und von solcher 
staatsmännischen Sicherheit zeigte sich an den deutschen Höfen keine Spur. 
Es gibt finstere Zeiten, in denen selbst edle Völker wie von einer epide- 
mischen Geisteskrankheit ergriffen scheinen. So unterlagen jetzt fast sämt- 
liche deutsche Regierungen einem wüsten Verfolgungswahne. Die beiden 
rätselhaften Verbrechen, die aufgeregte Sprache der Zeitungen, unter de- 
nen namentlich die Isis und die Neue Stuttgarter Zeitung sich sehr tö- 
richt äußerten, die stürmischen Verhandlungen der beiden ersten Landtage, 
  
*) Metternich an Buol, 14. Aug.; Bernstorff an Goltz, 15. Aug. 1819. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 34
	        
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