Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

530 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
dies alles im Verein stimmte die kleinen Höfe ängstlich, und dazu das 
dunkle Gefühl, daß die Nation wahrlich keinen Grund hatte, sich der 
Wiener Verträge zu freuen. 
Am besorgtesten äußerten sich gerade die süddeutschen Höfe, die in 
der Presse als Träger des konstitutionellen Gedankens gefeiert wurden. 
König Wilhelm von Württemberg sendete dem Petersburger Hofe eine 
so finstere Schilderung von der revolutionären Gesinnung der deutschen 
Jugend, daß Stourdza laut triumphierte und selbst der hochkonservative 
Blittersdorff diesen Hilferuf eines deutschen Fürsten an das Ausland ver— 
öchtlich fand.) Der fromme Tübinger Theolog Bahnmaier wurde auf 
ein kleines Dekanat versetzt, weil er in einem amtlichen Berichte der Wahr— 
heit gemäß erzählt hatte, Sands Tat werde von den Studenten nicht 
als ein Verbrechen, sondern als eine patriotische Verirrung aufgefaßt. Der 
Münchener Hof wendete sich sofort an Österreich und Preußen, bat 
dringend um gemeinsame Maßregeln gegen die Universitäten, ließ einige 
Lehrer, welche ihre Freude über Kotzebues Tod ausgesprochen haben sollten, 
ohne weiteres suspendieren, und da Sand seinem Könige aus dem Kerker 
sagen ließ, er habe für sich nichts zu fürchten, so zog der furchtsame Max 
Joseph daraus den Schluß, daß offenbar gegen andere deutsche Fürsten 
gottlose Absichten gehegt würden.) Vollends die badische Regierung, in 
deren Lande das Verbrechen geschehen war, hegte ganz abenteuerliche Vor- 
stellungen von dem Umfang der demagogischen Umtriebe, wie der neu auf- 
kommende amtliche Ausdruck lautete. Sie hatte aus der Untersuchung 
einiges Halbwahre gelernt; sie glaubte zu wissen, daß in der Burschen- 
schaft ein geheimer Verein bestehe, „dessen Hauptmotto Tyrannenmord 
sei, und der in der Nähe von Gießen bei einem gewissen Follenius sei- 
nen Zentralpunkt habe.“ Doch sie erfuhr nicht, wie klein und machtlos 
die Schar der Unbedingten war; sie wähnte, die deutschen Landtage 
wollten mit einander in Verbindung treten, ein deutsches Parlament neben 
den Bundestag stellen und dann die unteilbare deutsche Republik aus- 
rufen. Mit inbrünstigem Danke empfing daher Minister Berstett „die 
hochgefällige Mitteilung der höchstweisen Ansichten Sr. Maj. des Kaisers"“, 
als Metternich ihm schrieb, der österreichische Hof sei entschlossen, nun- 
mehr mit Ernst gegen die Professoren und die verworfenen Schriftsteller 
einzuschreiten, welche der Jugend ihre revolutionären Grundsätze „in jeder 
Art und Form täglich bis zur Trunkenheit einprägten“. Sofort befahl 
er dem badischen Bundesgesandten, sich die Vorschläge Osterreichs zur 
Richtschnur zu nehmen, und erklärte dem Petersburger Kabinett: „wir 
wollen bis an die Quelle jener höllischen Wühlerei vordringen, die auf 
  
*) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 26. 30. April 1819. 
**) Krusemarks Berichte, 21. Mai; Zastrows Berichte, 14. April, 4. Aug.; Mini- 
sterialschreiben an Zastrow, 23. April 1819.
	        
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