Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Erbitterung in Preußen. 545 
einer ruhigen Würde, welche allein schon den Ungrund der Verdächtigung 
hätte dartun können. Weder Arndt noch F. G. Welcker und Mühlen— 
fels ließen sich durch die erlittene Unbill jemals in ihrer monarchischen 
Gesinnung, ihrer preußischen Treue beirren; mit unverwüstlicher Tapferkeit 
predigte Reimer, aller Kränkungen ungeachtet, seinem krankhaft verstimmten 
Freunde Niebuhr Mut und Vertrauen.“) Nur der heißblütige Karl 
Theodor Welcker, ein unbedingter Bewunderer des Repräsentativsystems, 
der schon beim Zusammentritt des Wiener Kongresses in einer Rede über 
„Deutschlands Freiheit“ ein deutsches Parlament gefordert hatte, bildete 
sich nach solchen Erfahrungen, menschlich genug, ein gehässiges Urteil 
über den preußischen Staat, das bei den Liberalen des Südwestens nur 
zu williges Gehör fand. Von den Jüngeren dagegen wurden viele erst 
durch die Verfolgung dem Radikalismus zugetrieben, manche in der Blüte 
des Lebens geknickt, andere endlich dem Vaterlande gewaltsam entfremdet, 
so Franz Lieber, der nach langen Irrfahrten in Amerika eine neue Hei— 
mat fand und dort mit dem ganzen Gedankenreichtum der deutschen 
historischen Rechtsschule das Ideal der Bundesrepublik verherrlichte, der 
geistvollste unter allen Publizisten der modernen Demokratie. 
Für Preußen und sein Verhältnis zur Nation ward der Unsinn dieser 
Demagogenverfolgung wahrhaft verhängnisvoll, obwohl die Mehrheit am 
Bundestage die heilsame Strenge der preußischen Regierung mit unter— 
tänigem Danke anerkannte.) Wörtlich erfüllte sich was Niebuhr 
weissagte: „welches Leben ohne Liebe, ohne Patriotismus, ohne Freude, 
voll Mißmut und Groll entsteht aus solchen Verhältnissen zwischen 
Untertanen und Regierungen!“ Hatten die partikularistischen Liberalen 
die preußische Monarchie bisher schon ohne Grund verunglimpft, so stürzten 
sie sich jetzt vollends mit urkräftigem Behagen auf die offene Wunde am 
Leibe des deutschen Staats. Da die Deutsch-Osterreicher der nationalen 
Bewegung vollkommen fremd blieben und Metternich mithin wenig Gelegen- 
heit zu Verhaftungen fand, so galt Preußen nunmehr als die Macht der 
Finsternis im deutschen Leben, und in den Köpfen der selbstgefälligen 
Konstitutionellen des Südwestens nistete sich ein Vorurteil ein, das, wie 
töricht immer, doch eine reale Macht, ein schweres Hindernis unserer 
politischen Entwicklung geworden ist. Das völlig nichtige Ergebnis der 
Untersuchungen gegen Arndt und Jahn rief nachher natürlich die Meinung 
hervor, als wäre überhaupt gar kein Grund zu polizeilichem Einschreiten 
vorhanden gewesen. Und doch hatte man mindestens einen wirklichen 
Verschwörer ergriffen, Adolf Follen in Elberfeld. Bei ihm fand sich auch 
jener Entwurf für die Verfassung der deutschen Republik; doch er ver- 
  
*) Den Briefwechsel von G. A. Reimer und Niebuhr habe ich mitgeteilt in den 
Preuß. Jahrbüchern, August 1876. 
**) Goltzs Bericht, 20. Juli 1819. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. U. 35
	        
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