Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

546 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
stand, während so viele Unschuldige leiden mußten, seine Untersuchungs— 
richter mit der Gewissenlosigkeit des Unbedingten zu täuschen. — 
Immer lauter ward das Gerücht, daß die Karlsbader Versammlung 
den deutschen Landtagen feste Formen und Schranken vorschreiben werde. 
Um dieser Gefahr vorzubeugen versuchten noch in der zwölften Stunde 
zu gleicher Zeit zwei Souveräne ihre Verfassung selbständig zu ordnen. 
Die Fürstin-Vormünderin Pauline von Lippe-Detmold, eine der geist— 
reichsten Frauen ihrer Zeit, lebte seit langem in Streit mit ihren Ständen, 
weil sie den alten aus 32 Rittern und 7 Städtern bestehenden Landtag 
umgestalten und jedem der drei Stände die gleiche Stimmenzahl gewähren 
wollte. Sie war die Wohltäterin ihres Ländchens, hatte die Bürger und 
Bauern Mann für Mann auf ihrer Seite und redete mit einer Unbe— 
fangenheit, die in Wien übel vermerkt ward, von dem natürlichen Rechte 
der Völker auf Vertretung aller Klassen. Mit dem positiven Rechte aber 
nahm sie es nach Frauenart nicht genau; auch sie war, wie weiland König 
Friedrich von Württemberg, durch den Untergang des heiligen Reichs mit 
einem mächtigen Souveränitätsgefühle erfüllt worden und meinte, seit sie 
die kaiserliche Majestät nicht mehr zu fürchten hatte, auch an die Landes- 
verträge nicht länger gebunden zu sein. Die alten Stände widerstanden 
hier ebenso zäh wie in Württemberg und wendeten sich klagend an den 
Bund; Rat Schlosser, derselbe, der die Rechtsverwahrungen der jülich- 
clevischen Stände verfaßt hatte, führte ihnen die Feder. Als die Karls- 
bader Konferenzen herannahten, ahnte die Fürstin sogleich, daß die dor- 
tigen Beschlüsse ihren liberalen Ansichten wenig entsprechen würden, und 
rasch entschlossen verkündete sie am 6. Juni ihrem Lande eine neue Ver- 
fassung. Aber der liberale Staatsstreich mißlang. Unterstützt von dem 
Bückeburger Fürsten, der eine Mit-Landesherrschaft behauptete, erschienen 
die alten Stände alsbald wieder beim Bunde. Nach einer tiefgeheimen 
Beratung, wobei Wangenheim die ganze Fülle seiner konstitutionellen 
Gelehrsamkeit entfaltete, beschloß der Bundestag den Streitenden seine 
Vermittlung anzubieten und forderte die Fürstin auf, die Ausführung 
ihres neuen Grundgesetzes einstweilen einzustellen. Dies „Einstweilen“ 
währte bis zum Jahre 1836; da kam endlich, aber ohne Mitwirkung des 
Bundestags, ein Vergleich zustande. 
Glücklicher fuhr der König von Württemberg. Wer hätte auch die 
krummen Wege dieses Meisters der Falschheit berechnen und durchkreuzen 
können? König Wilhelm hatte einst zuerst den Gedanken aufgebracht, 
daß der Bund den Ansprüchen der Landstände eine feste Schranke setzen 
solle; er hatte, als er die Verhandlungen mit seinem Landtage abbrach, 
ausdrücklich erklärt, zunächst wolle er die Beschlüsse des Bundestags über 
die Rechte der deutschen Kammern abwarten, und seitdem war er von 
diesem Herzenswunsche nicht zurückgekommen. Sein neuer Premierminister 
von Maucler schulte das Beamtentum, ähnlich wie Zentner in Bayern,
	        
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