Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

566 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
Es war wohl der einzige menschlich versöhnende Zug in der Politik dieses 
starren Despoten, daß er die bestehende Ordnung gegen Hoch und Niedrig 
mit Ernst zu wahren suchte; seine Schmeichler nannten Gerechtigkeit, 
was im Grunde nur ein pedantisches Haften am Althergebrachten war. 
Wenn sich Rebellen wider ihn selber erhoben, dann schrak er vor Kriegs— 
gerichten und grausamen Ausnahmemaßregeln keineswegs zurück; aber so 
lange ihm die Gefahr nicht nahe auf den Leib rückte, sollte die Justiz 
ihren gewohnten Gang gehen. Dazu kam sein altes Mißtrauen gegen 
die unruhigen Deutschen draußen im Reich; auf seine k. k. Gerichte konnte 
er sich verlassen, deutschen Richtern wollte er einen österreichischen Hoch- 
verräter nicht anvertrauen. Dazu kam endlich — und dies war der 
Humor der Sache — daß er an die große deutsche Verschwörung selber 
nicht recht glaubte und nur die Angst der anderen Höfe ausbeuten wollte; 
darum befürchtete er, ein außerordentliches Bundesgericht würde vielleicht 
gar kein ernstes Ergebnis bringen und also lächerlich werden. Sein 
oberster Richter, Freiherr von Gärtner, ein alter Reichsjurist aus Kamptzs 
Schule, mußte für die Konferenzen ein Gutachten abfassen, das unter 
Berufung auf die privilegia de non evocando der Kurfürsten ausführte, 
die Souveränitätsrechte der deutschen Fürsten blieben nur dann gewahrt, 
wenn die Bundes-Zentralkommission sich auf die Leitung der Unter- 
suchungen beschränke. 
Umsonst versuchte Kamptz seinen alten Schüler zu belehren. „Die 
in Karlsbad ausgesprochenen laudes Gaertnerianae“ — schrieb er ihm 
mit gewohnter Aufgeblasenheit — „waren mir um so angenehmer als sie 
größtenteils mir gebühren, weil, wie Du hoffentlich noch jetzt dankbar 
erkennst, Du meinem Beispiel und meinen guten Lehren das was Du 
weißt verdankst.“ Dann setzte er ihm auseinander, wie gefährlich es sei, 
wenn man das Urteil über die Demagogen so vielen subalternen Richtern 
überlasse, ihrer Schwäche, ihrem Buhlen um die Volksgunst, ihrer Furcht 
vor den Zeitungen; das heiße das coimperium der Schreier, das doch 
jetzt vernichtet werden solle, von neuem befestigen.) Vergeblich sendete 
Hardenberg dies Schreiben nach Karlsbad und gab den Konferenzen zu 
erwägen, daß man ein vom Deutschen Bunde eingesetztes Tribunal doch 
nicht als ein fremdes Gericht betrachten dürfe; eine bloß untersuchende 
Zentral-Kommission, das sagte er voraus, werde sich als völlig nutzlos 
erweisen und nur böses Blut erregen.) Kaiser Franz ließ sich nicht 
überzeugen. Am 28. August gab er seine letzte Entscheidung: „Ich 
werde mich nie entschließen zu bestimmen: wer soll richten? — bis ich 
nicht genau gesehen habe: was soll gerichtet werden? Was wäre es, wenn 
die gemeinschaftliche Kommission nicht sehr erhebliche oder wenige Data 
  
*) Kamptz an Gärtner, 31. Aug. 1819. 
*Hardenberg an Bernstorff, 25. Aug., 1. Sept. 1819.
	        
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