568 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
Landesgerichte Tag für Tag Lügen gestraft und verfiel, wie Hardenberg
vorhergesehen, dem allgemeinen Abscheu. —
Die vier Gesetze waren allesamt genehmigt, und was zur Aus-
legung des Art. 13 noch fehlte, konnte auf den Wiener Konferenzen, zu
denen man sich im November wieder zusammenfinden wollte, leicht nach-
geholt werden, da alle Teile über „die Aufrechterhaltung des monarchi-
schen Prinzips“ einig waren. Selbst eine Erweiterung der Rechte der
Mehrheit am Bundestage, wie sie die beiden Großmächte in Teplitz geplant
hatten, ließ sich in Wien vielleicht noch erreichen. Der Erfolg übertraf alle
Erwartungen Metternichs;') niemals, so ließ er sich vernehmen, hat eine
musterhaftere Eintracht und Unterwürfigkeit geherrscht als auf unseren
Konferenzen. Als man am 1. Sept. noch einmal zum Abschied zusammen
trat, war alles glückselig, und einer der Minister fühlte sich so hoch begeistert,
daß er den Genossen vorschlug, den Ambrosianischen Lobgesang anzu-
stimmen. Natürlich ward am Schlusse „dieser auf immer denkwürdigen
Vereinigung“ dem Meister der Staatskunst, der alles so wohl geleitet
„der vereinte Ausdruck unbegrenzter Verehrung und Dankbarkeit“ dar-
gebracht und auch dem großen Talente des Hofrats von Gentz das ver-
diente Lob gezollt. Wunderbar in der Tat, was in wenigen Tagen
gelungen war. Dieser schwerfällige Bund, der zu jeder Entwicklung
unfähig schien, riß plötzlich mit revolutionärem Ungestüm politische Rechte
an sich, welche dem alten Reiche nie zugestanden hatten; er maßte sich
die Herrschaft an selbst über solche Zweige des inneren Staatslebens,
welche die kraftvolle Zentralgewalt des heutigen Deutschen Reichs den
Territorien unverkümmert überläßt; er schritt über die Schranken seines
Grundgesetzes so rücksichtslos hinaus, daß scharfsinnige Staatsrechtslehrer
wie Albrecht behaupten konnten, seit den Karlsbader Beschlüssen habe der
Deutsche Bund den Charakter eines völkerrechtlichen Staatenbundes auf-
gegeben und sich in einen Bundesstaat verwandelt — eine Ansicht, welche
auch von manchen Gehilfen Metternichs, namentlich von Ancillon, geteilt
wurde. Und alle diese Beschränkungen ihrer Souveränität ließen sich
Deutschlands Fürsten ohne Widerspruch durch Osterreich auferlegen.
Triumphierend schrieb Metternich: „Wenn der-Kaiser bezweifelt, daß er
Kaiser von Deutschland ist, so irrt er sich sehr."
Niemals seit es eine preußische Großmacht gab, niemals mehr seit
den Tagen Karls V. und Wallensteins hatte das Haus Osterreich der
deutschen Nation den Fuß so hart auf den Nacken setzen dürfen. Ganz
so herrisch wie einst Kaiser Karl auf dem geharnischten Reichstage den
besiegten Schmalkaldenern das Augsburger Interim aufzwang, rief jetzt
Metternich einer neuen nationalen Bewegung der Deutschen sein Halt zu;
ebenso verächtlich wie damals Granvella über die peccata Germaniae
* Bernstorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.