Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

570 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
konnte, von diesem Augenblicke an versank das Gespenst des deutschen 
Dualismus, das jetzt noch einmal seine grinsenden Züge gezeigt hatte, 
nach und nach im Nebel, und der denkende Teil der Nation begann zu 
erkennen, daß der in Karlsbad so übermütig angedrohte Austritt 
Osterreichs aus dem Deutschen Bunde die einzig mögliche Rettung des 
Vaterlandes war. 
Bis dahin war noch ein weiter Weg. Vorderhand schwelgte die 
Hofburg im Siegesjubel. In einem zärtlichen Handbillet dankte Kaiser 
Franz dem Könige von Preußen für das kräftige gemeinsame Wirken 
„gegen die Störer der Ordnung der Dinge, auf welcher der Bestand der 
Throne ruht.““) Gentz rühmte „diese größte retrograde Bewegung, die 
seit dreißig Jahren in Europa stattgefunden,“ und Metternich sprach dem 
Gesandten in London die Hoffnung aus, daß diese rettende Tat in ganz 
Europa ihren Widerhall finden würde. Und wirklich hatten die Ideen 
der reinen Reaktion bisher nur in Spanien einen so durchschlagenden Er- 
folg errungen. Unter den großen Kulturvölkern gab Deutschland zuerst 
das Beispiel eines Staatsstreichs von oben, ein Beispiel, das elf Jahre 
nachher den französischen Juli-Ordonnanzen zum Vorbilde gedient hat. 
Die Politik der Mäßigung, welche der Vierbund bis zum Nachener Kon- 
gresse eingehalten, ging zu Ende; die Macht, welche die Führerstelle in 
der europäischen Allianz errungen hatte, bekannte sich fortan offen zu den 
Grundsätzen der Unterdrückung. — 
Noch blieb eine schwere geheime Arbeit übrig, bis — nach Metternichs 
Worten — die Bombe in Frankfurt platzen konnte. Was man in Karls- 
bad erreicht hatte war nur eine nach Bundesrecht ungültige Verabredung 
von neun Bundesstaaten, die allerdings über die Mehrheit des engeren 
Rats geboten. Zu einer Erweiterung und Veränderung der Bundesakte, 
wie sie in den Karlsbader Beschlüssen enthalten war, bedurfte man aber 
der Einstimmigkeit. Es galt also, dreißig Bundesstaaten zur schweigenden 
Unterwerfung unter die Befehle der Neun zu vermögen, die zu Teplitz 
beabsichtigte Mehrheitsherrschaft im engeren Rate des Bundestages tat- 
sächlich zu erzwingen. Die Hebel der Angst und der Einschüchterung, welche 
in Karlsbad so gute Dienste getan, mußten in Frankfurt nochmals ange- 
setzt werden. Metternich wünschte jede Beratung am Bundestage zu ver- 
hindern; eine kritische Beleuchtung konnten die Beschlüsse der Karlsbader 
Verschwörung allerdings nicht ertragen. Seine kurzsichtige Schlauheit be- 
merkte nicht, wie töricht es war, die deutsche Zentralgewalt also vor allem 
Volke zu entwürdigen in demselben Augenblicke, da man ihr erweiterte 
und der öffentlichen Meinung verhaßte Befugnisse übertragen wollte. Noch 
am 1. Sept. teilte Metternich die Karlsbader Beschlüsse dem Präsidial- 
gesandten mit, befahl ihm für schleunige Annahme derselben zu sorgen 
  
*) Kaiser Franz an den König Friedrich Wilhelm, 29. August 1819.
	        
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