594 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
gehren der altständischen Partei war er soweit als möglich entgegenge—
kommen, und doch enthielt der Entwurf, in dem unscheinbaren Abschnitt
über die Kreistage, eine tief einschneidende, kühne Reform: wurde die Ritter—
schaft ihrer Virilstimmen auf den Kreisversammlungen beraubt und auf
eine mäßige, den wirtschaftlichen Machtverhältnissen der Gegenwart ent—
sprechende Stimmenzahl beschränkt, so war eine der schwersten und bestbe—
rechtigten Klagen der Bauern im Osten beseitigt, die ständische Herrschaft
des Adels auf dem flachen Lande brach zusammen, und an ihre Stelle
trat eine Interessenvertretung von drei sozialen Gruppen, welche der Ritter-
schaft zwar noch ein starkes Ubergewicht, doch nicht mehr die alleinige
Entscheidung gewährte. Was Hardenberg plante war in der Tat der
Abschluß der Reformen von 1807—12, die Zerstörung der letzten Trümmer
des feudalen Gemeinwesens; und mit begreiflichem Zorne schalt die altstän-
dische Partei am Hofe auf den alten Jakobiner: hatte er denn nicht selber
in dem ungeschickten Schlußwort seiner „Ideen“ verraten, daß er das
Salut public als das höchste der Gesetze verehre?
Freilich, der Staatskanzler bot dem Ausschusse nur den Entwurf eines
Entwurfs, nur eine leichte Skizze, die sich zu Humboldts Verfassungsdenk-
schrift verhielt wie ein Skelett zu einem lebendigen Körper. Alles kam
darauf an, wie der Ausschuß diese Umrisse ausfüllen würde. Ein grund-
sätzlicher Widerspruch schien von keinem seiner Mitglieder zu erwarten.
Eichhorn und Daniels stimmten den Hauptsätzen des Entwurfs willig zu.
Humboldt fand in den kurzen Monaten seiner Ministerlaufbahn nur
zweimal die Gelegenheit, sich über die Prinzipienfragen des Verfassungs-
streites auszusprechen und bewies in beiden Fällen, daß Hardenbergs ver-
mittelnde Richtung auch die seine war. Als zwei verfallene Landarmen-
häuser, welche der Staat vor Zeiten den kurmärkischen Ständen zur Benutzung
überlassen, wieder eingezogen werden sollten und die Stände, nach ihrer Ge-
wohnheit, sich wider die angebliche Rechtsverletzung verwahrten, da ant-
wortete Humboldt: er leugne nicht, „daß meinem Gefühle nach alles, was
nur entfernt mit ständischer Verfassung zusammenhängt, jetzt einer sehr
großen Schwierigkeit unterliegt,“ und riet dem Monarchen einen Mittel-
weg einzuschlagen: die Regierung möge die unaufschiebliche Reform des kur-
märkischen Landarmenwesens sogleich selber vornehmen, aber den Ständen
versprechen, daß sie nachträglich gehört werden sollten, sobald die neue
Provinzialvertretung bestehe. Den Ständen der Grafschaft Mark, die noch-
mals um die Herstellung der markanischen Verfassung baten, erwiderte er
fest und freundlich: die Provinzen würden nicht ohne ständische Vertretung
bleiben; aber das Bedürfnis der Staatseinheit mache es unmöglich „das-
jenige, was bisher unter ganz verschiedenen Umständen obwaltete, auch jetzt
noch einzeln und unverändert stehen zu lassen.““) Es war als ob Harden-
*) Humboldt an Schuckmann, 24. Okt.; an Bodelschwingh-Plettenberg, 22. Sept. 1819.