Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

610 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
ungelöst blieb, durch menschlichen Willen nicht mehr beizulegen. Fast in 
dem nämlichen Augenblicke, da der Berliner Hof sich gänzlich der Führung 
Osterreichs zu überlassen schien, tat er wieder einen Schritt vorwärts 
auf den Bahnen der fridericianischen Politik und begann die deutschen 
Nachbarlande in seine Zollgemeinschaft aufzunehmen. Es war ein win- 
ziger, nach dem Maße der Gegenwart fast lächerlicher Erfolg, aber der 
unscheinbare Beginn einer Staatskunst, welche die deutschen Staaten durch 
das Band wirtschaftlicher Interessen unlösbar an Preußen ketten und die 
Befreiung von Osterreich vorbereiten sollte. 
Seit das preußische Zollgesetz in Kraft gesetzt und den kleinen Nach- 
barn zunächst nur durch seine Härten fühlbar wurde, erhob sich überall 
mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauten, und 
es begann eine leidenschaftliche Agitation für die deutsche Handelseinheit, 
der Vorläufer und das Vorbild der späteren Kämpfe um die politische Ein- 
heit. Die ganze Nation schien einig in einem großen Gedanken; gleich- 
wohl gingen die Ansichten über die Mittel und Wege nach allen Rich- 
tungen auseinander, und das einzige was retten konnte, der Anschluß 
an die schon vorhandene Einheit des preußischen Marktgebietes ward in 
unseliger Verblendung so lange verschmäht, bis schließlich nur die bittere 
Not das Unvermeidliche erzwang. 
Gleich nach dem Frieden begann eine regelmäßige Einwanderung in 
das verarmte Preußen einzuströmen, etwa halb so stark als der Uberschuß 
der Geburten; sie bestand überwiegend aus jungen Leuten der deutschen 
Nachbarschaft, die in dem Land der sozialen Freiheit ihr Glück suchten. 
Als nunmehr die Binnenzölle in der Monarchie hinwegfielen, da ließen 
sich die Vorteile, welche der preußische Geschäftsmann aus seinem ausge- 
dehnten freien Markte zog, zumal an den Grenzplätzen bald mit Händen 
greifen: so siedelte ein Teil der Bingener Weinhändler auf das preußische 
Ufer der Nahe über, da die Preise in Preußen oft dreimal höher standen 
als auf dem überfüllten hessischen Markte. Das Beamtentum der kleinen 
Höfe war noch gewöhnt an das Zunftwesen, an die Erschwerung der Nieder- 
lassung und der Heiraten, an die tausend Quälereien einer kleinlichen 
sozialen Gesetzgebung; von der Uberlegenheit der preußischen Handelspolitik 
ahnte man hier noch gar nichts. Manchem wohlmeinenden Beamten in 
Sachsen und Thüringen erschienen die preußischen Steuergesetze als eine 
überflüssige fiskalische Härte, weil sein eigener Staat für das Heerwesen 
nur geringes leistete, also mit bescheidenen Einnahmen auskommen konnte. 
So entstand unter dem Schutze der kleinen Höfe an den preußischen 
Binnengrenzen ein Krieg aller gegen alle, ein heilloser Zustand, von 
dem wir heute kaum noch eine Vorstellung haben. Das Volk verwilderte 
durch das schlechte Handwerk des Schwärzens. In die zollfreien Packhöfe, 
welche überall dem preußischen Gebiete nahe lagen, traten alltäglich hand- 
feste braune Gesellen, die Jacken auf Rücken und Schultern ganz glatt
	        
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