Der Kampf gegen das preußische Zollgesetz. 611
gescheuert, manch' einem schaute das Messer aus dem Gürtel; dann packten
sie die schweren Warenballen auf, ein landesfürstlicher Mautwächter gab
ihnen das Geleite bis zur Grenze und ein Helf Gott mit auf den bösen
Weg. Der kleine Mann hörte sich nicht satt an den wilden Abenteuern
verwegener Schmuggler, die das heutige Geschlecht nur noch aus altmodischen
Romanen und Jugendschriften kennt. Also gewöhnte sich unser treues
Volk die Gesetze zu mißachten. Jener wüste Radikalismus, der allmählich
in den Kleinstaaten überhand nahm, ward von den kleinen Höfen selber
gepflegt: durch die Sünden der Demagogenjagd wie durch die Frivolität
dieser Handelspolitik.
Als die Urheber solchen Unheils galten allgemein nicht die Klein-
staaten, die den Schmuggel begünstigten, sondern Preußen, das ihn ernst-
haft verfolgte; nicht jene Höfe, die an ihren unsauberen fiskalischen Kniffen,
ihren veralteten unbrauchbaren Zollordnungen träge festhielten, sondern
Preußen, das sein Steuersystem neugestaltet und gemildert hatte. Unfähig,
die Lebensbedingungen eines großen Staates zu verstehen, stellten die kleinen
Höfe alles Ernstes die Forderung, Preußen müsse jene reiflich erwogene,
in alle Zweige des Gemeinwesens tief einschneidende Reform sofort wieder
rückgängig machen, noch bevor sie die Probe der Erfahrung bestanden
hatte — und halb Deutschland stimmte dem törichten Ansinnen zu.
Außerhalb der preußischen Beamtenkreise wagten in diesem ersten
Jahren nur zwei namhafte Schriftsteller das Werk Maassens unbedingt
zu verteidigen. Der unermüdliche Benzenberg bewährte in seinem Buche
„über Preußens Geldhaushalt und neues Steuersystem“ wieder einmal
seinen praktischen Takt. Im Verkehre mit Hardenberg hatte er gelernt,
den Staatshaushalt mit staatsmännischem Blicke zu betrachten. Er wußte,
daß jede ernsthafte Kritik eines Steuersystems beginnen muß mit der
Frage: welche Ausgaben dem Staate unerläßlich seien? — einer Frage,
die von den meisten Publizisten jener Zeit gar nicht berührt wurde. So
gelingt ihm nachzuweisen, daß Preußen seiner Zolleinkünfte nicht entbehren
könne. Er scheut sich nicht das Wehrgesetz und die neuen Steuergesetze
als die größten Wohltaten der jüngsten Epoche Friedrich Wilhelms III.
zu loben; er verlangt, daß man sie gegen jeden Widerstand aufrecht halte,
fordert die Nachbarstaaten auf, der Einladung des Königs zu folgen und
mit Preußen wegen gegenseitiger Aufhebung der Zölle zu verhandeln. Dem
Traumgebilde der Bundeszölle geht er hart zu Leibe. Er richtet an
F. List (August 1819) einen offenen Brief und fragt, wie denn der Bundes-
tag, „der keine Art von Legislation hat", eine solche Reform schaffen oder
gar die Zollverwaltung leiten solle? und sei denn die Aufhebung der
Binnenmauten möglich ohne gleichmäßige Besteuerung des inneren Kon-
sums? Die Stimme des nüchternen Mannes verhallte in dem allgemeinen
Toben; war er doch längst schon den Liberalen verdächtig, weil er ein
offenes Auge für die Eigenart des preußischen Staates besaß.
397