Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

612 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
Auch einer der tüchtigsten Kaufleute Deutschlands, E. W. Arnoldi in 
Gotha, begrüßte das preußische Zollgesetz schon im Januar 1819 als den 
ersten Keim eines Vereins aller deutschen Staaten. Nur herzhaft einge- 
schlagen in die dargebotene Hand: — so sprach er sich im Allgemeinen 
Anzeiger aus — Preußen stellt ja den Grundsatz der Gegenseitigkeit an 
die Spitze seines Gesetzes und erklärt sich bereit zu Verträgen mit den 
Nachbarn. Der treffliche Mann hatte einst in Hamburg noch zu den 
Füßen des alten Büsch gesessen und sich dort eine freie Ansicht vom Welt- 
handel gebildet, welche der binnenländischen Kleinlebigkeit der Mehrzahl 
seiner Standesgenossen noch ganz fremd war. Ihn wurmte die kindliche 
Unmündigkeit dieser Geschäftswelt, die so gar nichts tat um sich das Joch 
einer widersinnigen Handelsgesetzgebung vom Nacken zu schütteln. Schon 
seit Jahren trug er sich mit dem Gedanken eines Bundes der deutschen 
Fabrikanten zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen. Dann stiftete 
er in seiner Vaterstadt unter dem Namen Innungshalle eine Handels- 
kammer und eine rasch aufblühende Handelsschule. Endlich fand er ein 
weites Gebiet fruchtbarer Tätigkeit in dem Versicherungswesen, das noch 
ganz in der Botmäßigkeit des Auslandes stand. Fast an allen größeren 
deutschen Plätzen unterhielt der mächtige Londoner Phönzx seine Agenturen 
und beutete die Deutschen durch unbillige Prämien aus, da die kleinen 
heimischen Versicherungsgesellschaften, die in einzelnen Städten des Nordens 
bestanden, ihre Wirksamkeit auf die Vaterstadt beschränkten. Da wendete 
sich Arnoldi (1819) an die Nation mit der Frage, wie lange sie noch ihr 
Geld in die englische Sparbüchse legen wolle, und entwarf den Plan für 
eine deutsche, das gesamte Vaterland umfassende, auf Gegenseitigkeit be- 
ruhende Feuerversicherungsbank. Zwei Jahre darauf trat diese Anstalt 
zu Gotha ins Leben, der erste Anfang der großartigen Entwickelung unseres 
nationalen Versicherungswesens. Der allgemeine Haß gegen Englands 
Handelsherrschaft kam dem kühnen Unternehmer zu statten. Uberall im 
Binnenlande schalt man auf England und die Hansestädte, die den Süd- 
deutschen nur als englische Kontore galten; der wiedererwachende Napo- 
leonskultus und die französischen Sympathien der Liberalen des Südens 
wurden durch solche erregte Stimmungen gefördert. Uber die Waffen 
freilich, welche den deutschen Gewerbfleiß vor einer erdrückenden ausländischen 
Mitbewerbung sichern konnten, hatten die wenigsten auch nur nachgedacht. 
Nur so viel schien allen unzweifelhaft, daß sämtliche neueingeführte Zölle 
sofort wieder aufgehoben und die im Art. 19 der Bundesakte verheißene 
Verkehrsfreiheit durch den Bundestag angeordnet werden müsse. 
Selbst jener hochherzige, geistvolle Agitator, der mit dem ganzen Un- 
gestüm seiner Tatkraft gegen die Binnenmauten auftrat, auch Friedrich 
List teilte den allgemeinen Irrtum. Wie Görres einst im Rheinischen 
Merkur die Idee der politischen Macht und Einheit des Vaterlandes vertrat, 
so verfocht List die Idee der handelspolitischen Einheit — eine ver-
	        
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